Kirchheim

Der Eiertanz der Parteien

Politik Wann hat Deutschland endlich wieder eine Regierung? Der Teckbote hat die Bundestagsabgeordneten des Wahlkreises befragt, wie es nun weitergeht und warum das alles so lange dauert. Von Heike Siegemund

Michael Hennrich (CDU)
Michael Hennrich (CDU) Foto: pr

Vier Monate nach der Bundestagswahl hat Deutschland noch immer keine Regierung. Viele Bürger beobachten das Szenario mit Unverständnis, kritisieren den Eiertanz der Parteien. Was sagen die Bundestagsabgeordneten dazu?

Nils Schmid (SPD)
Nils Schmid (SPD) Foto: pr

„Auch ich bin enttäuscht darüber, wie es momentan läuft“, gesteht Michael Hennrich (CDU). Nach der Wahl sei er sich sicher gewesen, dass sich ein Jamaika-Bündnis bilden wird. Doch leider sei das, was die Vernunft geboten hätte, nicht zustande gekommen. Verantwortlich für die Misere sei aber nicht einer allein, sondern jede Partei müsse sich selbst hinterfragen. Fehlende Verantwortung, fehlendes Vertrauen, fehlende Führung: All dies habe dazu geführt, dass es bis jetzt noch keine Regierung gibt. Noch immer befinde man sich in einem schwierigen Prozess, denn der geplante Mitgliederentscheid der SPD zur großen Koalition (Groko) erschwere die Sache zusätzlich. Es sei nicht Aufgabe der Basis, darüber zu entscheiden, sondern die Aufgabe der Abgeordneten und der Parteienführung, betont Hennrich.

Als „sehr problematisch“ sieht er „die Auswüchse der vergangenen Tage“ an: die Kampagne der Jusos, die mit dem Slogan „Tritt ein, sag‘ nein“ um SPD-Neumitglieder werben, die dann beim Mitgliederentscheid gegen die Groko stimmen sollen. Damit gehe die Basisdemokratie ganz klar zu weit. „Es kann nicht sein, dass die Jusos und Aktivisten letztendlich die Entscheidung kapern.“

 

Matthias Gastel (Die Grünen)
Matthias Gastel (Die Grünen) Foto: pr

Nils Schmid (SPD) ist zuversichtlich, dass die neue Regierung aus CDU und SPD bis zur Faschingswoche steht. Dass die Sozialdemokraten ihre Basis zur Groko befragen, habe sie von Anfang an versprochen. Schmid betont aber auch: „Neu-Eintritte sind nur erwünscht, wenn sie auf Dauer angelegt sind.“ Es sei nicht Sinn und Zweck einer Parteimitgliedschaft, nur beizutreten, um beim Mitgliederentscheid mit Nein zu stimmen und der Partei anschließend wieder den Rücken zu kehren. Wenn jemand bewusst nur deshalb eintreten wolle, werde die SPD dies verhindern. Außerdem gebe es einen Stichtag: Nur Neumitglieder, die bis 6. Februar eintreten, dürfen ihre Stimme abgeben. Im Übrigen glaubt Schmid nicht, dass die Neumitglieder bei der Entscheidung das Zünglein an der Waage sein werden. Denn auch 2017 habe es viele Eintritte gegeben, und es seien nicht alle gegen die Groko.

Dass sich die Regierungsbildung derart in die Länge zieht, habe nicht die SPD zu verantworten, betont Schmid - sondern „die Chaos-Truppe Jamaika“. Erst jetzt werde professionell und ergebnisorientiert verhandelt. Dabei verzichte die SPD auf „schöne Fotos auf Balkonen“ wie dies bei den Jamaika-Gesprächen der Fall gewesen sei.

 

Fotos: Riedl/Privat
Renata Alt (FDP) Foto: Carsten Riedl

Noch immer verärgert über „das Davonrennen der FDP vor der Verantwortung“ ist Matthias Gastel (Die Grünen). „Jamaika war weit fortgeschritten, und auch die FDP konnte Erfolge verbuchen“, betont er und nennt als Beispiel die Abschaffung des Soli. „Jamaika wäre eine Chance gewesen, eine fortschrittliche Koalition zu bilden, anstatt nochmals mühsam eine Groko zusammenzubringen.“ Zum anderen ist Gastel verwundert über die zögerliche Haltung der SPD - zum einen mit Blick auf den Mitgliederentscheid, dessen Ausgang „alles andere als vorhersehbar ist“, und zum anderen hinsichtlich des Bundesparteitags, bei dem die Delegierten mit nur knapper Mehrheit für Koalitionsverhandlungen mit der Union gestimmt haben. All dies zeige: „Es sind nur zwei Parteien bereit, sich mit dem schwierigen Wahlergebnis zu arrangieren und Verantwortung zu übernehmen: die CDU und die Grünen.“

Die Aktion „Tritt ein, sag‘ nein“ ist für Gastel keine Form der Basisdemokratie, sondern destruktiv. Stimme die SPD-Basis mit Nein, würde dies aller Voraussicht nach zu Neuwahlen führen. „Die Probleme für Deutschland wären dann noch größer, aber auch für die SPD, weil dies weitere Stimmenverluste für sie bedeuten würde.“

 

Die Sondierungsgespräche zu einem Jamaika-Bündnis „waren unstrukturiert und ohne Zielvorgabe“, betont Renata Alt (FDP). Insgesamt habe die Union den Grünen mehr Zugeständnisse gemacht als der FDP, obwohl die Freien Demokraten ein besseres Wahlergebnis hatten. „Wir wollten nicht nur der Mehrheitsbeschaffer sein. Das haben wir unseren Wählern versprochen“, verdeutlicht Renata Alt. Drei Wochen habe es gedauert, „bis wir überhaupt zu Sondierungsgesprächen eingeladen wurden“. Vier Wochen habe man dann mit der FDP verhandelt, und seitdem sei wieder viel Zeit verstrichen, kritisiert sie. Die Kanzlerin habe den Auftrag zur Regierungsbildung, aber es sei noch immer keine Aufbruchstimmung erkennbar.

Renata Alt war von Anfang an eine Anhängerin einer Minderheitsregierung. „Das wäre etwas Neues für unser Land, das den derzeitigen Stillstand beenden könnte.“ Andere Länder hätten gute Erfahrungen damit gemacht, zum Beispiel Kanada und Dänemark. Sollte sich die Basis der SPD gegen eine Groko aussprechen, würde Renata Alt für diese Option plädieren. „Denn nach Neuwahlen hätten wir möglicherweise ein ähnliches Wahlergebnis.“