Kirchheim

Der Mann mit der weißen Mütze

Ehrenamt Willi Kamphausen hat für seinen Einsatz die höchste Ehrung erhalten, die einem Baden-Württemberger zuteil werden kann: den Verdienstorden. Von Antje Dörr

Sie ist weder Kippa noch Takke: Kamphausens weiße Mütze ist sein Markenzeichen und Türöffner für viele Gespräche.Foto: Jean-Luc
Sie ist weder Kippa noch Takke: Kamphausens weiße Mütze ist sein Markenzeichen und Türöffner für viele Gespräche.Foto: Jean-Luc Jacques

Orden sind ihm nicht geheuer. Mit Krawatte fühlt er sich verkleidet. Hingegangen ist er trotzdem ins Ludwigsburger Schloss, um sich vom Ministerpräsidenten die höchste Ehrung des Landes Baden-Württemberg an die Brust heften zu lassen: den Verdienstorden. Wenn es nach ihm ginge, hätte die Kirchheimer Stadtgesellschaft den Orden verdient, sagt Kamphausen. Für ihre Offenheit. Für die Möglichkeiten, dass Menschen wie er sich einbringen und etwas bewegen können. Auch wenn sie nicht aus Kirchheim stammen. „Es ist nicht selbstverständlich, dass man als Niederrheiner so integriert wird“, sagt Kamphausen, der 1944 in Mönchengladbach geboren wurde.

Was Kamphausen schon alles bewegt hat, passt kaum auf ein DIN-A4-Blatt. Breit ist die Palette seines kirchlichen, politischen und gesellschaftlichen Engagements. In der Öffentlichkeit ist er durch seine Stadtführungen bekannt geworden, die er seit 20 Jahren gibt. Mittlerweile ist die Zahl der Stadtführer so gewachsen, dass man ihn immer seltener mit Gruppen durch die Gassen laufen sieht. Eigentlich nur noch dann, wenn jemand explizit nach dem „Mann mit der weißen Mütze“ fragt. Sie ist Kamphausens Markenzeichen, Wetterschutz und Türöffner in einem. „Ich werde oft gefragt, ob ich Moslem bin. Oder Jude“, sagt er. Die Mütze habe ihm schon viele interessante Gespräche ermöglicht. Als er einmal in Israel gewesen sei, sei er von Juden sofort als einer der ihren anerkannt worden. Nicht ganz zu Unrecht, meint Kamphausen. „Als Christ habe ich ja auch jüdische Wurzeln.“

Es war nicht vorgezeichnet, dass aus Willi Kamphausen einmal der Querdenker werden sollte, der er geworden ist. Er stammt aus einem pietistisch geprägten Elternhaus. Keine Brutstätte für Reformer. Volksschule, Handelsschule, Ausbildung zum Versicherungskaufmann. Das wäre es vermutlich gewesen, wäre Kamphausen nicht einem begegnet, der das Talent erkannte, das in ihm schlummerte. Ob er nicht etwas mit Kindern machen wolle, fragte der ihn. Auf dem zweiten Bildungsweg wurde aus dem Versicherungskaufmann ein Lehrer, der später sogar Schulleiter werden sollte.

Es waren die 60er-Jahre, in denen Kamphausen sein Studium in Reutlingen und Tübingen absolvierte. Der junge Pädagogikstudent engagierte sich in der Studierendenvertretung (AStA) - aber in keiner kommunistischen Gruppe, wie er betont. „Wir haben eine Gruppe gegründet, die sich ‚Konstruktive Kritik‘ nannte“, sagt Kamphausen. Diesem Grundsatz versuchte er auch später in Kirchheim treu zu bleiben: von 1974 bis 1993 als Gemeinderatsmitglied für „Die Neuen“ und später für „Die Grünen“, unter anderem als Fraktionsvorsitzender. Parteimitglied war er allerdings nie. Im Esslinger Kreistag saß er von 1990 bis 1993, merkte aber schnell, dass er sich „nicht nur mit Müll und Krankenhäusern beschäftigen“ wollte.

Schon während seines Studiums entfernte er sich von der evangelisch-methodistischen Kirche, die ihm als politisch denkendem Mensch damals zu eng war, und wandte sich der Landeskirche zu. In der Martinskirche war Kamphausen zwölf Jahre lang Kirchengemeinderat und Laienvorsitzender. Mit seiner Frau leitet er dort einen Impulskreis, besucht regelmäßig den Gottesdienst. Aber er will auch aus der Kirche heraus wirken. „Ich war immer sehr offen, sowohl in der Ökumene als auch hin zu anderen Religionen“, sagt Kamphausen. Er arbeitet im Flüchtlingsnetzwerk mit und hält Kontakt zu den Kirchheimer Moscheen. Kamphausen war Mitinitiator der „Menschenkette für ein friedliches Miteinander“, die 2015 nach dem Anschlag auf das französische Satireblatt ‚Charlie Hebdo‘ in Kirchheim stattfand. Er spricht regelmäßig beim Fastenbrechen der Kirchheimer Muslime. „Der eine kann das glauben, der andere das - aber wir können trotzdem etwas zusammen tun“, sagt Kamphausen. Mit dem katholischen Pastoralreferenten Reinhold Jochim will er nun wieder etwas Neues auf die Beine stellen: ein multi-religiöses Gebet im Bürgerpark mit allen Glaubensgruppen, die es in Kirchheim gibt.

Bei der Fülle an Aufgaben muss Kamphausen immer wieder „Nein“ sagen. Eines jedoch würde er nie aufgeben, sagt er: Die Arbeit für den Verein „Brückenhaus“, dessen Vorsitzender er seit über 20 Jahren ist. Das Brückenhaus sei sein Herzensanliegen, sagt Kamphausen. In den vielen Jahren, in denen er den Verein begleitet, haben sich die Aufgaben geweitet. Zur Gemeinwesensarbeit mit gefährdeten Kindern und Jugendlichen ist die Schulsozialarbeit hinzugekommen. Kamphausen ist stolz darauf, dass dieses Angebot mittlerweile an fast allen Kirchheimer Schulen etabliert ist. Allerdings fehle dem Brückenhaus ein richtiges Haus, sagt er. Das Büro des Vereins ist aktuell in der Hausmeisterwohnung der Jesinger Schule untergebracht. Das Ziel sei nach wie vor, wieder einen Treffpunkt für Jugendliche zu schaffen.

Willi Kamphausen wird geehrt
Willi Kamphausen wird geehrt