Kirchheim

Die Neugier soll erhalten bleiben

Kunst Der Kunstbeirat der Städtischen Galerie im Kornhaus feiert sein 40-jähriges Bestehen. Zur Jubiläumsveranstaltung trafen sich Museumsfachleute und Kunstinteressierte, um über Konzepte zu diskutieren. Von Helga Single

Bei der Ausstellung „Colored identities“ von Rainer Splitt wurde das Kirchheimer Publikum als Motiv mit einbezogen, denn hinter
Bei der Ausstellung „Colored identities“ von Rainer Splitt wurde das Kirchheimer Publikum als Motiv mit einbezogen, denn hinter den bunten Luftballons versteckten sich „Köpfe der Stadt“.Archiv-Foto: Christian Schlienz

Es ist die Zeit der Happenings und Konzeptkunst, die gegen die elitäre „Hochkunst“ des Bürgertums wettert. In diesem Zeitraum engagieren sich einige kunstinteressierte Kirchheimer, um einen Kunstbeirat des Städtischen Museums im Kornhaus zu gründen. Die Idee einer kreativen Bürgerinitiative ist neu.

Nach dem Ausstellungserfolg „Kunst im Freien“, 1978 im Garten Mack bietet die Stadt das neu renovierte Erdgeschoss des Kornhauses als dauerhaften Ausstellungsraum an. Eine einzigartige Kooperation zwischen Stadt und Kunstbeirat entsteht. Die Stadt unterstützt finanziell und ist froh über eine Belebung des Kornhauses. Der Kunstbeirat hat Handlungsfreiheit und präsentiert fortan eigenverantwortlich zeitgenössische und regionale Arbeiten. Man sieht sich als Wegbereiter von sozialer Teilhabe an Kultur.

Die Anfänge sind nun 40 Jahre her. „Kunst soll wecken, man wollte wecken“, sagt Oberbürgermeisterin Matt-Heidecker in ihrem einleitenden Grußwort. Mit einem breiten Spektrum sei es gelungen, eine unverzichtbare Einrichtung für die Stadt zu sein. Aus diesem Anlass feiern sowohl die Städtische Galerie im Kornhaus als auch der ehrenamtlich arbeitende Kunstbeirat das vierzigste Jahr ihrer Ausstellungstätigkeit mit einer Diskussionsrunde im Kornhaus zu dem Thema: Wo stehen wir heute? Impuls, Provokation, Last?

An der Diskussionsrunde nehmen Dr. Axel Burkarth von der Landesstelle für Museumsbetreuung, Simone Demandt, Erste Vorsitzende des Künstlerbundes Baden-Württemberg, die ehemalige Bürgermeisterin von Kirchheim Susanne Weber Mosdorf und der ehemalige Kunstbeirat Dieter Brunner teil. Durch den Abend moderiert die Kulturjournalistin Adrienne Braun.

Den geladenen Gästen fällt sofort ein leerer Stuhl in der Runde auf: „Hier ist nicht einer krank geworden“, witzelt die Moderatorin, sondern dies sei der „heiße Stuhl“, auf dem Gäste an der Diskussion teilnehmen können, neudeutsch: „Fish-Bowl“-Diskussion. Diese lassen sich nicht lang bitten. Das Spektrum reicht von Schülern, Kunstlehrern, ehemaligen Beiratsmitgliedern bis hin zu interessierten Laien. Eine Schülerin als Vertreterin der jungen Generation vertritt die Meinung, dass das Kornhaus genügend Raum biete, um vielfältige „Spielformen“ zu entwickeln. Dadurch könne es Impulse in der Jugendarbeit geben, wenn man sich auf einen kreativen Lernprozess einließe.

Einem der Gäste, einem Kunstpädagogen, fällt gerade das schwer. „Zu manchen Sachen, die ausgestellt sind, finde ich keinen Zugang, das hat keinen ästhetischen Reiz für mich“, räumt er ein. Erst ein Zeitungsartikel bringe ihm den Durchblick. Dabei solle das Kunstverständnis eben nicht ex cathedra doziert werden, sondern sich in einem demokratischen Prozess widerspiegeln, so formulieren es die Gründungsmitglieder. „Die Besucher werden eingeladen, mitzuspielen und Erfahrungen zu sammeln.“

Kunst und Kultur sind Teil der modernen Gesellschaft. Längst habe man in Zeiten der Nullzinspolitik die Kunst als Anlagemodell entdeckt. Heinz Schlaffer, Germanist aus Stuttgart, hat das Stichwort „Betreutes Sehen“ geprägt. Überall versuchten eine Fülle von Kommentatoren Nachhilfe im Umgang mit Kunst zu geben. Die Besucher hätten zwar die Schwellenangst vor den „heiligen Hallen“ überwunden, gestehen sich ihre Hilfsbedürftigkeit ein, indem sie sich einer Führung anschließen würden. Für ihn habe sich die Hoffnung auf das selbständige Urteil des Besuchers einer Ausstellung nicht erfüllt.

Wie also lassen sich sperrige Arbeiten erschließen? Man ist sich einig, dass vermehrt Diskussionsangebote wichtig seien. Ein Beitrag erklärt, dass Kunst beim fertigen Objekt schon zu Ende sei und der Schlüssel im Entstehungsprozess liege. So habe Beuys versucht, die Kunst über neue Formen zu erschließen, sodass der Zuschauer einen aktiven Part übernehme und eben nicht dastehe wie „der Ochs vorm Berg“. „Der Kunstbegriff ist nicht starr“, deshalb richte sich die Einladung an jeden, sich auf den Weg zu machen, gleichsam mit oder ohne Kommentar. Weiterhin werde der Kunstbeirat das Profil des Kornhauses schärfen und an der bestehenden Kontinuität festhalten.

Zum Abschluss an diesem Abend wollte Moderatorin Adrienne Braun von den Teilnehmern einen Ausblick, einen Wunsch für die Zukunft des Kornhauses entwickelt haben. „Man muss die Neugier aufrechthalten“ in Form von Werbung und Kommunikation. „Vielleicht ist die Lösung, etwas Neues zu wagen, indem man Informationen an die Außenwände projiziert?“ Ganz wichtig sei auf jeden Fall der Dialog mit der Öffentlichkeit, mit den Medien. Das Kornhaus solle weiterhin ein offener Raum sein und bleiben.

Die Publikation zum 40-jährigen Bestehen

In der Broschüre zum Kornhaus wird die Geschichte dekadenweise aufgearbeitet und erläutert. Das Willy-Brandt-Zitat: „Wir wollen mehr Demokratie wagen“ war auch das Motto des Kunstvereins zu jener Zeit. Sie wollten ihren Beitrag zur Demokratisierung leisten. Der Kunstbeirat organisierte seither 250 Ausstellungen mit über 400 Künstlerinnen und Künstlern. Zu Beginn gerieten die kontrovers diskutierten Ausstellungen schnell ins Visier der Öffentlichkeit, denn sie eckten an. Von schockierendem Müll und Verstößen gegen den guten Geschmack mit Kunstblut war dort die Rede. Gehörten am Anfang elektronische Medien sowie experimentelle Musik und sonntägliche Jazz- Matineen zum Programm, folgten darauf Ausstellungen mit Skulpturen, Plastiken und zeitgenössischer Malerei. In den Jahren 1980 bis 1989 stellten Absolventen der Kunstakademien Stuttgart und Karlsruhe aus. Dabei stellte sich schleichend eine Kommerzialisierung ein. Das Budget wurde mit Verkäufen aus den Ausstellungen erweitert. Bereits vor 1990 kam es zu Meinungsverschiedenheiten, und einige Mitglieder des Beirats verabschiedeten sich. Ab 1990 lag der Schwerpunkt auf raumbezogenen Arbeiten mit installativem Charakter. Der „Zeichnung“ als autonomes Medium wurden Ausstellungen gewidmet. Beim 20-jährigen Jubiläum wurde ein Überblick über die Arbeiten präsentiert. Im nächsten Jahrzehnt wurde das Angebot noch breiter. Fotografie und Architektur kamen als eigenständige Gattung hinzu. Ab 2010 wurden die Arbeiten durch wechselnden Medieneinsatz geprägt, sowie besonders Installationen. Auch wurde der Einbezug der Kirchheimer Bevölkerung versucht. hs