Kirchheim

Die „Odyssee“ im Wacholderweg

Ständig bleiben Lastwagenfahrer im Nägelestal „zwischen Skylla und Charybdis“ hängen

Im Kirchheimer Nägelestal bleiben regelmäßig Lastwagen stecken, weil das Navi die gutgläubigen Fahrer direkt ins labyrinthartige Wohngebiet lockt.

Wenigstens das Verbotsschild für Fahrzeuge mit mehr als 7,5 Tonnen in der Straße „Im Hag“ könnte einem Lastwagenfahrer auffallen
Wenigstens das Verbotsschild für Fahrzeuge mit mehr als 7,5 Tonnen in der Straße „Im Hag“ könnte einem Lastwagenfahrer auffallen, auch wenn er die Hinweise „Anlieger frei“ und „Keine Wendemöglichkeit für LKW“ nicht entziffern kann. Trotzdem müssen viele die leidvolle Erfahrung erst selbst machen, bevor sie wissen, dass sie ihren Lastwagen wirklich nicht wenden können.Foto: Markus Brändli

Kirchheim. Ein Werktag mitten in den Sommerferien, 9.50 Uhr: Autos schlängeln sich durch das Wohngebiet Näge­lestal. Bevorzugt nehmen sie die erste Gelegenheit, um von der Straße „Im Hag“ nach links abzubiegen. Diese Gelegenheit bietet der Wacholderweg. Schließlich wollen die Autofahrer nicht ins Nä­gelestal, sondern in die Kirchheimer Innenstadt, und der Wacholderweg verläuft in etwa parallel zur Nürtin­ger Straße, die über Jahre hinweg durchgängig in die Stadt führte. Die Kennzeichen der Autos lassen da­rauf schließen, dass die Fahrer keinesfalls Anwohner sind.

Immer wieder braust auch ein Lastwagen durch den Wacholderweg. Bei den kleineren funktioniert das noch einigermaßen. Dann aber „tappt“ ein Sattelzug in die Falle. „Direkt vor ihm sind zwei andere Lastwagen durch. Der Fahrer hat das gesehen und ist einfach hinterher gefahren“, berichtet der Anwohner Thorsten Bühler. Blindlings hat der Fahrer also vertraut – den beiden vor ihm und zudem seinem Navi, das die Strecke durch den Wacholderweg als Alternative angibt, um von der Autobahn nach Kirchheim zu gelangen.

Der Wacholderweg ist aber nicht als Durchfahrtstraße angelegt. Immer wieder gibt es Engstellen, auf beiden Seiten. Und so ergeht es dem Lkw-Fahrer an der Einmündung des Schlehenwegs nicht anders als den Seefahrern in Homers „Odyssee“, wenn sie sich „zwischen Skylla und Charybdis“ befinden: Wer der einen Gefahr ausweicht, kommt unweigerlich der anderen zu nahe. Im Fall des Sattelzugs im Wacholderweg offenbart sich „Skylla“ in Form von schweren Steinbrocken an der Beifahrerseite, die eine Linkskurve erzwingen. „Charybdis“ dagegen zeigt sich in der zierlichen, schlanken Gestalt einer Straßenlaterne auf der anderen Seite, die eben diese Linkskurve verhindert.

Vorwärts geht es also gar nicht mehr, ohne Schaden für den Lkw. Zurück geht es schon irgendwie. Es ist für den Fahrer nur mühsam und beschwerlich. Dem Sattelzug passiert nichts. Allenfalls ein paar vernachlässigbare Schrammen trägt er davon. Was bleibt, sind „Kollateralschäden“: Ein Stromkasten wird ebenso demoliert wie ein hölzerner Gartenzaun.

Das war es für dieses Mal. Es hätte aber auch anders laufen können. Dann wäre die „Charybdis“ zerstört. „Die Laterne richten sie alle paar Wochen“, sagt Thorsten Bühler lapidar. Er hat sich mittlerweile an solche Vorfälle gewöhnt. Damit abfinden will er sich aber nicht. Jetzt kann er nämlich wieder einmal den Holzzaun richten. Der Zaun, der sein Grund­stück begrenzt, soll verhindern, dass der vierjährige Sohn auf die Stra­ße läuft. Das wäre viel zu gefährlich für den Kleinen, denn insbesondere die Autos rasen durch den Wacholderweg – anstatt normal zu fahren.

Thorsten Bühlers Frau Melanie kann aber noch ganz andere Geschichten erzählen: „Neulich ist einer mitten in der Nacht vor unserem Haus stecken geblieben, um halb zwei. Wie soll man da schlafen?“ In ihrer Not greifen Bühlers zum einzigen Mittel, das ihnen bleibt: „Wir schneiden unsere Hecke außen gar nicht mehr. Dann sieht die Straße noch ein bisschen enger aus.“ Wirklich wirkungsvoll ist das aber nicht. Das hat sich in den letzten zwei Stunden wieder gezeigt, bis sich der Sattelzug gegen 11.50 Uhr aus dem Wacholderweg herausgewunden hat.

„Eine Beschilderung wäre wichtig“, sagt Rainer Schwarz. Er hatte den Sattelzug in der Zwangslage als erster gesehen und die Nachbarn informiert. Man passt gegenseitig auf. Manche Fahrer haben sich nämlich schon aus dem Staub gemacht. Viel zu sagen hat der Fahrer hier nicht, zumindest nicht auf Deutsch. Das einzige Wort, das die Anwohner von ihm hören, heißt „Navigation“.

Was könnte helfen? Kirchheims Ordnungsamtsleiter Marcus Deger will nächste Woche zusätzliche Schilder anbringen lassen, auch direkt an der Einfahrt zum Wacholderweg. „Die Schilder müssen der Straßenverkehrsordnung entsprechen“, meint er allerdings. So groß und so bunt, dass sie die Aufmerksamkeit jedes Lkw-Fahrers sofort auf sich ziehen, können sie also nicht ausfallen.

Marcus Deger denkt aber noch an zwei weitere Stellschrauben: Zum einen soll die Beschilderung von der Autobahnausfahrt West in die Innenstadt verstärkt werden und alle Ortsfremden über die Hegelstraße führen. Dasselbe Ziel verfolgt er auch bei den Navis: „Ich will die zwei Hauptanbieter noch einmal anschreiben, dass sie ihre neuen Geräte und auch ihre Updates an die geänderte Verkehrsführung in der Nürtinger Straße anpassen.“ Den Wacholderweg ganz für Lastwagen zu sperren, sei jedoch keine Möglichkeit. Feuerwehr, Müllfahrzeuge oder auch der Lieferverkehr sollten ja trotzdem noch einzelne Häuser anfahren können. An solchen Fahrzeugen haben dann sogar die Anwohner Interesse.

LKW steckt in Wohngebiet fest, Nägelestal
LKW steckt in Wohngebiet fest, Nägelestal
LKW steckt in Wohngebiet fest, Nägelestal, beschädihter Zaun und Stromkasten
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