Kirchheim

„Die Wahl zwischen Pest und Cholera“

Politik Kopf über Herz und damit Große Koalition – so lässt sich das Ergebnis einer Umfrage unter SPD-Mitgliedern im Kreis zusammenfassen. Sie sehen ihre Partei in der Verantwortung für das Land. Von Iris Häfner

Orakel Wahlplakate? Eine Große Koalition ergab sich schon bei diesen Schildern in Kirchheim. Die Porträts zeigen SPD-Mitglieder,
Orakel Wahlplakate? Eine Große Koalition ergab sich schon bei diesen Schildern in Kirchheim. Die Porträts zeigen SPD-Mitglieder, die sich zum Parteitag geäußert haben. Fotos: Jean-Luc Jacques /privat

Die Geister scheiden sich in der SPD: „GroKo“ oder eben nicht. Am Wochenende entscheidet der Außerordentliche Bundesparteitag über die Aufnahme der Koalitionsverhandlungen. Hier einige Statements aus dem Kreis.

„Ich stimme dafür“, sagt Rainer Arnold, bis zum Spätsommer Bundestagsabgeordneter der SPD und Verteidigungspolitischer Sprecher seiner Partei. Als Delegierter ist er in Bonn dabei. „Das ist natürlich keine Wunschkoalition, abgesehen davon, dass eine Koalition nie eine Liebesheirat ist. Aber man muss abwägen“, sagt er. Die Große Koalition in der vorangegangen Legislaturperiode sieht er nur als ein Element für das schlechte Abschneiden seiner Partei. „Das ist wesentlich komplizierter“, sagt er und nennt beispielsweise veränderten Zeitgeist und eigene Fehler als Gründe. Aufarbeitung tut seiner Ansicht nach not, weshalb er auch gegen Neuwahlen ist. „Wir brauchen viel mehr Zeit“, graust es ihm vor einem ähnlich schlechten Ergebnis innerhalb weniger Monate. „Wir haben Verantwortung für unser Land“, so Rainer Arnold.

Carla Bregenzer, langjährige Landtagsabgeordnete, ist froh, keine Entscheidung treffen zu müssen: „Das ist die Wahl zwischen Pest und Cholera. Wann hat die SPD je von einer Großen Koalition profitiert? Wir waren immer der kleinere Partner.“ Nichtsdestotrotz sei viel Sozialdemokratie in die Regierungsarbeit eingeflossen. „Das kann jetzt alles die Kanzlerin einsacken“, sagt sie und bedauert, dass die Parteien kaum mehr unterscheidbar sind. Sie vermisst Köpfe wie Wehner, Brandt und Blüm in der Politik. Eine Minderheitsregierung hält sie für noch schlechter als eine „GroKo“, ebenso Neuwahlen. „Was sollen wir den Wählern anderes erzählen als vor wenigen Monaten?“ Europa muss ihrer Ansicht nach mehr Gewicht bekommen. Nicht nachvollziehen kann sie deshalb, weshalb der Europa-Politiker schlechthin - Martin Schulz - im Wahlkampf zum Bürgermeister aus Würselen mutierte.

Für Wendlingens Bürgermeister mit SPD-Parteibuch, Steffen Weigel, steht die soziale Gerechtigkeit im Vordergrund. Die ist ihm - Stichwort Bürgerversicherung - zu wenig verankert worden. „Wenn wir noch mal in die Große Koalition müssen, dann hätte ich mir eine deutlichere Kurskorrektur gewünscht“, erklärt Weigel. Er hofft, dass sich die Partei Zeit gibt für die Koalitionsverhandlungen. Er rechnet mit einer knappen Entscheidung in Bonn für die „GroKo“. So oder so werde es eine Zerreißprobe für die SPD. Er selbst weiß noch nicht, wie er sich bei der Mitgliederbefragung entscheidet. „Ich sehe zum einen die Verantwortung - und zum andern: Der AfD die Rolle des Oppositionsführers zukommen lassen?“, zeigt er sein Dilemma auf.

„Ich bein kein Fan der GroKo. Wir sind Wahlverlierer“, redet auch Tonja Brinks, SPD-Stadträtin in Kirchheim, nicht lange um den heißen Brei herum. Es brauche zwar auch gute Oppositionspolitik, andererseits sieht sie die Situation pragmatisch: Neuwahlen und Minderheitsregierung sind für sie keine Option. „Wir müssen aufpassen, dass wir uns international nicht blamieren und noch monatelang keine Regierung haben“, gibt sie zu bedenken. Natürlich habe die SPD konkrete Vorstellungen ihrer Politik. „Die Verhandlungen sind aber kein Wunschkonzert“, sagt sie. Auch wenn die SPD bei den „GroKos“ immer schlecht abgeschnitten hat, ist ihr eine stabile Regierung zum Wohle des Landes wichtiger.

„Kompromisse sind für beide Seiten schmerzvoll“, sagt Michael Medla, Pressesprecher der SPD-Kreistagsfraktion. Wenn schon „GroKo“, dann hätte die SPD mehr heraushandeln müssen. Ihm fehlt das große sozialdemokratische Programm. „Mindestlohn war so ein Thema“, nennt er als Beispiel. Aus seiner Sicht könnte Europa vor­angestellt werden, hier bestehe die größte Schnittmenge mit der CDU. „Gerade hier ist das Papier blumig geblieben“, kritisiert er. Macron ist für ihn das Vorbild. Bei allem Verantwortungsbewusstsein für das Land will er aber nicht um jeden Preis regieren. Eine GroKo müsse die Ausnahme bleiben, dafür mehr „links“ und „rechts“ von der Mitte geben. „Mehr Pole täten uns gut. Für uns Sozialdemokraten heißt das: die rote Linie erkennen“, ist er überzeugt.

Rainer Arnold
Rainer Arnold
Carla Bregenzer
Carla Bregenzer
Steffen Weigel
Steffen Weigel
Tonja Brinks
Tonja Brinks
Michael Medla
Michael Medla