Kirchheim

Die wahre Mutter ist die soziale

Theater Die 8. Klassen der Waldorfschule Ötlingen zeigen Brechts „Kaukasischen Kreidekreis“. Mit großem Engagement beeindrucken sie auf der Bühne. Von Ulrich Staehle

Jugendliche spielen Bertolt Brechts Klassiker „Der kaukasische Kreidekreis“. Foto: Jean-Luc Jacques
Jugendliche spielen Bertolt Brechts Klassiker „Der kaukasische Kreidekreis“. Foto: Jean-Luc Jacques

Alle Jahre staunt man wieder, was die achten Klassen der Waldorfschule in ihrem medienpädagogischen Projekt auf die Beine stellen. Fachschaften wie Musik, Sport und Werken arbeiten zusammen, und die Eltern sind eingebunden. Doch vor allem die Schüler zeigen einen außerordentlichen Einsatz. Alle 30 Schüler plus sechs aus der Kleinklasse mit Förderbedarf spielen diesmal mit. Sie haben nicht nur in der Schulzeit geprobt, sondern sie verbrachten mit ihren Klassenlehrern die Faschingsferien mit Theaterarbeit. Sinnvoller geht‘s nicht, und sinnvoller kann auch Inklusion nicht verwirklicht werden. Das allein ist schon einen Szenenbeifall wert.

Professionelle Unterstützung

Damit das Ergebnis sich sehen lässt, wird professionelle Hilfe geholt, dieses Jahr in Person von Monika Wieder. Den Sachverstand dieser Theaterpädagogin haben die Kirchheimer schon durch die Arbeit mit der Gruppe „Saugut“ kennengelernt. Nichts weniger als Brechts „Kaukasischen Kreidekreis“ haben sich die Waldorfianer vorgenommen, ein Stück, in dem es um den Streit zweier Frauen um ein Kind geht. Brecht greift hier ein biblisches Motiv auf, ein Urteil des Salomo, der der wahren Mutter, der leiblichen, das Kind zuspricht, weil sie dem Kind bei der Probe kein Leid zufügen will. Bei Brecht ist die wahre Mutter nicht die leibliche, sondern die soziale, die das Kind im Gegensatz zur leiblichen Mutter ernährt und beschützt und für das sie unendlich viel Gefahren und Mühsale auf sich genommen hat.

„Szenenwechsel“ als Rahmen

In einer öffentlichen Hauptprobe konnte sich das Publikum vom Ergebnis der gemeinsamen Anstrengungen überzeugen. Das Publikum bestand in diesem Fall aus dem hauseigenen und aus zwei Gastklassen der Freihof-Realschule im Rahmen von „Szenenwechsel“, den höchst fruchtbaren Kirchheimer Kinder- und Jugendtheaterwochen. Theaterbesuche sind für Jugendliche keine Selbstverständlichkeit mehr und somit auch das Verhalten im Theater.

Nichts davon in dieser Aufführung. Konzentriert und gepackt folgte das junge Publikum dem Bühnengeschehen. Das lag vor allem an der Qualität des Gebotenen. Der Textumfang ist auf eine schülergerechte Dauer von eineinviertel Stunden gekürzt und vereinfacht worden. Vor allem die Geschichte und die Besonderheit des Richters Azdak fallen weg. Freilich, bei 36 Schülern ist die Spielkompetenz unterschiedlich, und Hauptprobe ist Hauptprobe. Da gibt es mal einen Patzer beim Licht oder einem Auftritt. Doch insgesamt gab es viel zu bestaunen: aufwendige, passende Kostüme, ein praktisches Bühnenbild, einen ausgefeilten Tanz mit Masken, und vor allem Spieler, die in guter Waldorftradition freigespielt sind. Viel Text gibt es zu bewältigen, und der Regisseurin Monika Wieder fallen immer wieder szenische Umsetzungen ein. Sie nutzt dabei die Möglichkeiten des Raumes. Links und rechts sind seitlich in der Höhe die Erzählermannschaften postiert, und ab und zu kommt auch ein Spieler den Zuschauerrang herunter.

Getragen wird die Aufführung vor allem von der Darstellerin der Grusche, der Magd, die das Kind rettet und die es auch zugesprochen bekommt. Sie verdient besondere Hervorhebung, denn ihre Textsicherheit und die Intensität ihres Spiels nimmt die Zuschauer gefangen. Intensiv wird ihr Spiel, indem sie gerade nicht künstlich zu spielen versucht, sondern sozusagen von innen heraus ihre Gefühle vor allem dem Kind gegenüber - einer Puppe! - andeutet. Für ihr Alter eine großartige Leistung!

Profitiert haben von dieser Aufführung wie immer die Spieler selbst. Theaterspielen fördert die Persönlichkeitsentwicklung. Wer als Publikum ebenfalls von dem medienpädagogischen Projekt profitieren will, kann das diese Woche noch am heutigen Samstag und morgigen Sonntag jeweils um 18 Uhr in der Waldorfschule in Ötlingen tun.