Kirchheim

Die Zeichen der Steinmetze

Die bewegte Baugeschichte der Kirchheimer Martinskirche – Chor weitgehend im Original erhalten

Der Bauforscher Dr. Ulrich Knapp bei seinem Vortrag in der Kirchheimer Martinskirche.Foto: Nicole Mohn
Der Bauforscher Dr. Ulrich Knapp bei seinem Vortrag in der Kirchheimer Martinskirche.Foto: Nicole Mohn

Kirchheim. Auf den ersten Blick wirkt die Stadtkirche so, als ob alles aus einem Guss ist. Doch der Eindruck täuscht. Das Gotteshaus ist in den Jahrhunderten weitaus öfter

Nicole Mohn

umgestaltet worden, hat Dr. Ulrich Knapp herausgefunden. Seit rund vier Jahren befasst sich der Bauforscher mit den unterschiedlichen Bauabschnitten der Kirche. Am Mittwoch stellte er im Rahmen des Begleitprogramms zur archäologischen Ausstellung im Städtischen Museum im Kornhaus seine Erkenntnisse einem breiten Publikum vor.

In den Chor der Martinskirche hatte der Experte seine Zuhörer gebeten. Hier gab es zu seinen Ausführungen auch einiges zu sehen für das Publikum. So entdeckte Knapp bei seinen Nachforschungen beispielsweise viele Hinweise darauf, dass der Chor weitgehend originale Oberflächen aus der Bauzeit aufweist. Besonders interessant sind für den Forscher die Steinmetzzeichen, mit denen zum Beispiel Traufsteine oder auch die Maßwerke versehen sind. „Ich gehe davon aus, dass der Chor von einem Steinmetztrupp innerhalb weniger Jahre hochgezogen wurde“, ist sich Knapp aufgrund der Funde sicher.

Wer der Baumeister ist, dazu gibt es noch keine Erkenntnisse. Jedoch hat der Fachmann da so eine Vermutung. So finden sich am Chor der Martinskirche auch Zeichen von Steinmetzen, die auch an der bestens kartografierten Stuttgarter Stiftskirche verzeichnet sind. Sie wird dem Baumeister und Architekten Aberlin Jörg zugeschrieben. „Es kann also sein, dass die Kirchheimer Martinskirche eines seiner ersten Bauwerke ist“, vermutet Knapp. Die Signatur Jörgs hat er bei seinen Untersuchungen allerdings noch nicht entdecken können, da die Kaffgesimse im Chor, die oftmals die Zeichen des Baumeisters tragen, entfernt wurden. Umso interessanter wäre es für den Bauforscher deshalb, sich einmal die Wappen im Sterngewölbe näher anschauen zu können, ob sich dort ein Hinweis auf den planenden Steinmetz findet. Knapp schätzt jedenfalls, dass der Chor der Kirchheimer Martinskirche in den 1450er-Jahren gebaut wurde – somit vor dem Stadtbrand.

Teile des Gotteshauses sind aber noch älter. Das lassen auch die Funde von romanischen Ziegeln vermuten, die sich auf dem Dachboden über der Sakristei fanden. Auch was es mit den Fragmenten der Schildbögen am östlichen Ende des Langhauses auf sich hat, wird Knapp in weiteren Untersuchungen noch zu entschlüsseln versuchen.

Schwierig gestaltet sich seine Nachforschung im Bereich des Langhauses. Das ist im Zuge einer großen Umgestaltung unter der Leitung von Christian Leins in den 1860er-Jahren komplett umgestaltet worden. Der Baumeister vereinheitlichte im Zuge der Umbaumaßnahme die Fenstergrößen und -höhen und vieles mehr.

Ob Originalbauoberflächen im Langhaus erhalten blieben, lässt sich angesichts der großen Eingriffe in das Mauerwerk nicht sagen. Sollten Steinmetzzeichen erhalten geblieben sein, so befürchtet Ulrich Knapp, liegen sie unter Putz: „Und da können wir schlecht nachsehen“, erklärt er.

Jedoch gehört zu dem umfangreichen Material, das es zu Leins Umbau gibt, auch eine Baubestandsaufnahme, die Knapp wiederum viele Hinweise auf das ursprüngliche Aussehen der Kirche gibt.

Neben Untersuchungen von Gerüstholz und Dachbalken sowie den Steinmetzzeichen lieferten aber auch die Archive dem Forscher viele Informationen zur Kirchheimer Stadtkirche.

Da der Wiederaufbau des Gotteshauses unter der Regie des Armenhauses lief, kann Knapp hier auf eine hervorragende Dokumentation der Bauarbeiten zurückgreifen. Sowohl die Auftragsvergabe für den Wiederaufbau des Chor-Dachstuhles als auch die Holzlieferungen sind in den Büchern des Armenhauses detailliert vermerkt und dokumentiert. „Ein echter Glücksfall“, sagt Ulrich Knapp. Hier fand der Experte auch den Hinweis, dass das Dach der Sakristei beim Stadtbrand nicht in Mitleidenschaft gezogen worden war: „Es ist nämlich vermerkt, dass der alte Dachstuhl abgerissen werden soll“, berichtet er.

Knapp hofft, mit weiteren Untersuchungen von Gerüsthölzern die Entstehungszeit des Chores weiter eingrenzen zu können. „Sie sehen, es gibt noch vieles zu entdecken“, verspricht der Bauforscher, dass er noch mehr Licht in die Geschichte der Martinskirche bringen wird.