Kirchheim

Einem schwierigen Frauenleben abgerungen

Biografie Der Kirchheimer Literaturbeirat erinnert an die oberschwäbische Autorin Maria Müller-Gögler.

Kirchheim. Doris Rothmund kümmert sich um Schriftsteller, die zu Unrecht vergessen sind. Auf Einladung des Kirchheimer Literaturbeirats hat sie bereits an den Stuttgarter Eugen Gottlob Winkler erinnert. Jetzt kam sie bei einer gut besuchten Matinee im Kirchheimer Max-Eyth-Haus auf die Schriftstellerin Maria Müller-Gögler zu sprechen.

Maria Müller-Gögler war Doris Rothmund schon in der Schulzeit sehr nahe durch ihren Deutschlehrer Paul Müller, dem Ehemann der Dichterin, der sie damals im Ravensburger Gymnasium im Fach Deutsch unterrichtete. Gelesen hat sie die Texte der Lehrersgattin damals nicht. Die Jugend der sechziger Jahre las eher Böll und Grass.

In der älteren Generation hatte Müller-Gögler durchaus Leser ihrer überaus reichen literarischen Produktion. Sie schrieb acht Romane, eine Vielzahl von Erzählungen, Hunderte von Gedichten, eine Biografie und eine dreibändige Autobiografie. An Auszeichnungen und Ehrungen hat es nicht gefehlt. Abgerungen wurde dieses literarische Werk einem schwierigen Frauenleben.

Schlecht bezahlt und einsam

Maria Müller ist 1900 in Leutkirch geboren. Mit vierzehn Jahren wurde sie nach dem frühen Tod der Mutter fünf Jahre lang im Institut der Ravensburger Schulschwestern untergebracht. Nach ihrer Lehramtsprüfung unterrichtete sie in Steinhausen. Sie wurde schlecht bezahlt, fühlte sich einsam und von der zeitgenössischen Pädagogik abgestoßen. Nach ihrer Kündigung und einem Leben als Vertretungslehrerin entschloss sie sich 1924 zu einem Studium der Fächer Germanistik, Pädagogik und Philosophie. In Tübingen legte sie das Staatsexamen ab und promovierte. Nachdem sie in Laupheim eine Stelle bekommen hatte, wagte sie es zu heiraten. Unfassbar, dass es damals ein amtliches Zölibat für Lehrerinnen gegeben hat! Sie behielt ihre Stelle, weil es eine Planstelle war. Sie ist die erste Frau, die trotz Heirat und Schwangerschaft unterrichtete.

Doch das eigentliche Lebensziel von Maria Müller-Gögler war ein anderes: Sie wollte Dichterin werden, bekennt sie in ihrer Autobiografie. Neben ihrer Ausbildung und ihrer Lehrerinnentätigkeit hat sie immer geschrieben. Mit historischen Romanen hat sie sich allmählich einen Leserkreis im Oberland geschaffen. Überstrahlt wurde das literarische Leben im Oberland damals von dem konservativen Ernst Jünger im Norden und dem progressiven Martin Walser im Süden. In ihrem Schatten hielt sich Müller-Gögler eher an Walser, der sie schätzte. Auf Betreiben Walsers ist in den 80er-Jahren eine Gesamtausgabe ihrer Werke erschienen.

Texte voller Zerrissenheit

Müller-Gögler beginnt mit historischen Romanen. Sie verfasst, so Rothmund, keine Trivialromane mit obligatem Happy End, sondern eher im kleistschen Stil Texte über Personen und Schicksale voller ungelöster Rätsel und voller Zerrissenheit. Nach 1945 schreibt sie Zeitromane. Sehr bemerkenswert und mutig ist der Roman „Täubchen, meine Täubchen“ (1965), in dem sehr unangenehme Wahrheiten über die Situation an Grundschulen zu lesen sind. Bei der Verarbeitung der Nazizeit ist sie schuldbewusst. Sie empfand den „Unsegen einer Epoche immer als eine Naturkatastrophe“, die sie mit „gedrückter Seele“ über sich ergehen ließ. Sie ist 1987, bis zum Schluss literarisch produzierend, gestorben.

Eigentlich ist Maria Müller-Gögler eine aktuelle Schriftstellerin. Schon allein durch ihre Biografie hat sie die Emanzipation der Frau befördert. Doch leider gibt es ihre Werke nur noch antiquarisch zu kaufen. Auf jeden Fall hat Doris Rothmund durch ihren engagierten, informativen Vortrag, gespickt mit Textbeispielen und Bildern, das Interesse an dieser imponierenden Autorin wachgerufen.Ulrich Staehle