Kirchheim

Einkaufen hat etwas mit Heimat zu tun

Lebensqualität Michael Reink vom Handelsverband Deutschland rät Kommunen zu Einzelhandelskonzepten und einem Leerstandskataster und hofft auf eine politische Debatte zum Einkaufsverhalten. Von Sylvia Gierlichs

Eine lebendige Innenstadt - wie hier in Kirchheim - wünschen sich die Bürger. Voraussetzung dafür sind Läden.Archiv-Foto: Carste
Eine lebendige Innenstadt - wie hier in Kirchheim - wünschen sich die Bürger. Voraussetzung dafür sind Läden. Archiv-Foto: Carsten Riedl
Michael Reink

Was können Städte und Gemeinden tun, um den gefürchteten Leerstand in ihren Zentren zu verhindern? Michael Reink vom Handelsverband Deutschland nennt wichtige Aspekte, worauf Kommunen achten müssen, welche Chancen Pop-up-Stores bieten und warum QR-Shops eher kein Zukunftsmodell sein sollten.

Herr Reink, welche Standortfaktoren sind für den Lebensmittelhandel relevant?

Michael Reink: Die Unternehmen analysieren, wie viele Kunden es im direkten Umfeld gibt. Discounter brauchen mehr, man geht von etwa 8 000 bis 12 000 Kunden aus. Bei Supermärkten liegt die Zahl bei 5 000 bis 7 000. Die Entscheidung für einen Standort hängt auch von der Kaufkraft ab: je kaufkräftiger, desto kleiner der Einzugsbereich. Eine Rolle spielt auch, welche Wettbewerber es in der Nähe gibt. Einen Standort, der von einem Lebensmittelunternehmen aufgegeben wurde, mit einem alternativen Konzept zu belegen, beispielsweise einen integrativen Markt zu etablieren, in dem Menschen mit Handicap arbeiten, kann sehr gut funktionieren. Es kann aufwendiger sein, aber man kann es nur befürworten.

Leerstand ist in den Kommunen gefürchtet. Was kann eine Kommune tun, um dem entgegenzuwirken?

Reink: Die Kommunen sind aufgerufen, ihre Einzelhandelskonzepte auf aktuellem Stand zu halten. Ideal wäre es, mehrmals im Jahr zu klären, welche Ansiedlungsinteressen es gibt und ob sie zum Konzept der Stadt passen. In Zukunft wird es in Deutschland in vielen Städten mehr Leerstände geben. Da kommen ganz harte Entscheidungen auf die Kommunen zu. Es wird teils um die Frage gehen: Möchte ich den Einzelhandel in den Innenstädten stärken oder auf der grünen Wiese? Denn in manchen Fällen werden beide Standorte miteinander nicht mehr funktionieren. Das hängt auch mit den Umsatzverschiebungen durch den Online-Handel zusammen. Es gibt Bürgermeister, die bereits jetzt nachgefragt haben, ob es möglich ist, Fußgängerzonen wieder zu schrumpfen. Denn der Kunde möchte ein durchgängiges Einkaufserlebnis haben und keinen Leerstand. Bei Leerstand sagt der Kunde: Hier ist ja nichts los. Es wird auch Kommunen geben, die ihre Einkaufssituation auf den Marktplatz beschränken. Kommunen sollten auch unbedingt ein digitales Leerstandskataster haben. Es hilft herauszufinden, was möglicherweise städtebaulich verändert werden kann oder ob man einen Standort aufgeben sollte. Das bedeutet aber auch, ich muss ein Konzept haben, wie ich mit dem Leerstand umgehe.

Was ist, wenn die Mietforderungen von Gebäudeeigentümern eine Neuvermietung erschweren? Oder sich ein Wettbüro nach dem anderen breitmacht? Hat eine Kommune hier Gelegenheit einzugreifen?

Nur bedingt. Es gibt Rechtsprechungen, die verbieten eine hohe Konzentration von Wettbüros oder Spielhallen auf einer Fläche. Immer mehr Vermieter bekommen allerdings auch langsam mit, dass der Einzelhandel schon jetzt nicht in der Lage ist, noch mehr Miete zu bezahlen. Derzeit gibt es eine Stagnation der Mieten für den Einzelhandel, auch in den Toplagen. Die Reise muss dahin gehen, zu echten Mietpartnerschaften zu kommen. Umsatzbezogene Mieten gibt es schon sehr lange, das halte ich für ein gutes Modell. Man zahlt eine Grundmiete und dann gibt es eine Summe X, die zusätzlich bezahlt wird, wenn das Geschäft gut läuft. So profitiert der Vermieter, wenn der Standort funktioniert. Damit können Standorte stabil bleiben.

Was halten Sie davon, sogenannten Pop-up-Stores, also provisorischen Einzelhandelsgeschäften, Ladenflächen anzubieten, um Leerstand abzumildern?

Grundsätzlich halte ich das für eine gute Idee. Aber Pop-up-Stores sind nur ein Pflaster. Sie sind ja darauf angelegt, nur ein paar Tage oder Wochen da zu sein. Aber es gibt auch Pop-up-Stores von Existenzgründern. Wir wissen von einem Projekt in Altena, einer 17 000-Einwohner-Stadt im Sauerland, wo die Stadt die Leerstände angemietet und sie den Bürgern zur Verfügung gestellt hat, damit diese eigene Geschäftsideen ausprobieren konnten. Es haben sich etliche gemeldet. Und einige sind tatsächlich geblieben. Und so hat die Stadt wieder eine Blumenhändlerin, die eigentlich gar keine Floristin ist. Die auch nie ohne diesen Anstoß versucht hätte, Blumenhändlerin zu werden. Pop-up-Stores sorgen für eine Erweiterung des Sortiments, der Branchenmix ist besser.

In Belgien, Italien, Spanien, in der Schweiz, aber auch in Hamburg gibt es bereits die ersten QR-Shops, in denen man über einen QR-Code mit dem Handy Waren bestellen kann, die dann nach Hause geliefert werden. Liegt darin die Zukunft?

Gute Frage. Das ist für den Kunden möglicherweise recht bequem. Aber man sollte auch fragen: Möchtest Du das wirklich haben? Denn jeder Euro, den er da ausgibt, gibt er nicht im stationären Handel aus. Wenn man die Umsatzverschiebungen betrachtet, hin zu Online-Handel und dann die Leerstände in den Städten und Gemeinden betrachtet, dann sollte man sich schon fragen, welchen gesellschaftlichen Wert der stationäre Einzelhandel hat. Eine schöne Innenstadt hat etwas mit gesellschaftlicher Identifikation zu tun - mit schönen Gebäuden, Handel, Gastronomie, öffentlichen Flächen, man begegnet vor allem anderen Menschen. Damit identifizieren wir uns in unserer Stadt. Ob man QR-Shops will, das ist eine Frage, die nur der Bürger mit seinem Konsumverhalten beantworten kann. Vor ein paar Monaten gab es übrigens eine Umfrage des Allensbach-Instituts zum Thema „Heimat“. Unter anderem wollte man wissen, wodurch die Bürger ihre Heimat in Gefahr sehen. Die meisten Teilnehmer der Umfragen, nämlich 78 Prozent, antworteten, die größte Bedrohung für die Heimat sehen sie darin, dass viele alteingesessene Geschäfte schließen. Also hat das Einkaufsverhalten auch direkt etwas mit dem Verlust der Heimat zu tun. Darüber würde ich mir persönlich eine gesellschaftliche Debatte wünschen. Leider wird sie von der Politik nicht angestoßen.