Kirchheim

Einsturzgefahr: Wohnhaus geräumt

Evakuierung Bewohner dürfen ein Mehrfamilienhaus in Kirchheim wegen gravierender statischer Mängel vorerst nicht mehr betreten. Von Andreas Volz

Von außen merkt man dem Gebäude nicht sofort an, dass seine Standsicherheit massiv gefährdet ist. Foto: Jean-Luc Jacques

Einstürzende Neubauten - so nannte sich 1980 eine Berliner Band. Im Kirchheimer Herdfeld entstand knapp 30 Jahre später ein Neubau, der jetzt offensichtlich wirklich einzustürzen drohte: Weil Gefahr im Verzug war, hat das Bauordnungsamt das Betreten des Gebäudes verboten. Beteiligt am ganzen Geschehen waren aber gleich mehrere Ämter der Stadtverwaltung.

Christoph Lazecky vom Ordnungsamt berichtet vom Abend der Evakuierung: „Wenn wir das Gebäude nicht räumen lassen, obwohl wir von der Gefahr wissen, und wenn es dann tatsächlich einstürzt, machen wir uns strafbar.“ Deshalb seien Mitarbeiter des Ordnungsamts vergangene Woche angerückt. Ausgestattet waren sie vorsorglich mit Platzverweisen, und unterstützt wurden sie von der Polizei, die die Platzverweise notfalls auch gegen den Willen der Bewohner hätte durchsetzen müssen.

Für keinen der Beteiligten ist das eine angenehme Situation, erst recht nicht für die Bewohner. Wer geht schon gerne für längere Zeit aus seiner Wohnung, wenn er nicht gerade eine Reise antritt? Erfreulicherweise aber zeigten sich am Ende alle einsichtig, wie Christoph Lazecky erzählt: „Wir konnten die Menschen im Gespräch überzeugen.“

Alle Bewohner seien vorübergehend anderweitig untergebracht, sei es bei Freunden oder auch bei Verwandten. Im Zweifelsfall müsste die Stadt für eine Unterkunft sorgen, da die Menschen rechtlich als obdachlos einzustufen sind.

In einer baurechtlichen Entscheidung jedenfalls untersagt die Stadt Kirchheim die Nutzung und das Betreten des Gebäudes. Ausgenommen davon sind lediglich Fachleute, die das Haus untersuchen oder mit der Sicherung beziehungsweise der Sanierung beauftragt sind. Alle anderen - also in erster Linie die Bewohner - dürfen das Haus erst dann wieder betreten, „wenn ein Prüfingenieur schriftlich bestätigt, dass keine Bedenken zur Standsicherheit mehr bestehen“.

Zum Hintergrund des ganzen Falls heißt es im Bescheid der Behörde: „Auf Veranlassung eines Bewohners wurde die Ursache für die am Gebäude vorhandenen Rissbildungen untersucht.“ Dabei habe sich herausgestellt, dass bei Pfeilern im Erdgeschoss und auch im ersten Obergeschoss eine „massive Überbelastung“ gegeben sei. Ein weiterer Fachmann habe das bestätigt: Rein rechnerisch sei jederzeit zu erwarten, dass die Pfeiler schlagartig versagen könnten. Dann würde das gesamte Gebäude also ohne weitere Vorwarnung einstürzen.

Weil somit für alle Bewohner Lebensgefahr bestanden hätte, sah die Stadt sich gezwungen, die Evakuierung des Hauses anzuordnen. Die Bedrohung für Leib und Leben der Bewohner sei eben deutlich höher einzustufen als deren „Interesse am Verbleib im Gebäude“. Der entsprechende Bescheid war sofort zu vollziehen. Widerspruch gegen den Bescheid könnten die Bewohner zwar einlegen, aber ihr Widerspruch hätte keine aufschiebende Wirkung.

Wie geht es mit dem Gebäude jetzt weiter, und wann können die Menschen wieder zurückkehren in ihre Wohnungen? Der einstige Bauträger hat sofort reagiert: Im Erdgeschoss und im ersten Stock gebe es inzwischen provisorische Stützen, teilte Geschäftsführer Bernhard Most gestern auf Anfrage des Teckboten mit. Über das weitere Vorgehen und die Frage, wie das Gebäude langfristig zu sanieren und zu sichern ist, werde entschieden, sobald die beauftragten Statiker ihren Bericht mit entsprechenden Vorschlägen vorgelegt haben.

Zuversichtlich zeigt sich Bernhard Most, was das Dachgeschoss betrifft: „Ich gehe davon aus, dass die Wohnungen im Dach schon Anfang nächster Woche wieder bezogen werden können.“ Sehr viel mehr kann er allerdings bislang noch nicht sagen. Wann also die Wohnungen im Erdgeschoss und im ersten Stock wieder freigegeben werden können, ist derzeit noch völlig unklar. Als Ursache für das gesamte Problem nennt Bernhard Most die fehlerhaften Berechnungen eines früheren Statikers, auf die man sich verlassen habe. Dieser Statiker sei in der Zwischenzeit aber verstorben.

Das macht die rechtliche und die versicherungstechnische Aufarbeitung der ganzen Geschichte sicher nicht einfacher. Es ist durchaus denkbar, dass sich das alles noch lange hinzieht. Eins aber stand für Bernhard Most gleich fest, als er von der Einsturzgefahr erfahren hat: „In so einem Fall müssen wir natürlich sofort reagieren und erste Maßnahmen ergreifen, unabhängig davon, was später eine Versicherung dazu sagen wird. Hier geht es schließlich um Menschen.“