Kirchheim

„Es fühlt sich gut an, ein Exot zu sein“

Diskussion Beim „SportTalk“ in Kirchheim dreht sich alles um Frauen im Sport – denn in den Spitzenpositionen der Vereine fehlen weibliche Führungskräfte. Die Experten sind sich einig: Das muss sich ändern. Von Melissa Seitz

Am Weltfrauentag dreht sich alles um die Frau. Das musste sich auch Moderator Daniel Räuchle beim Blick auf das Podium beim „SportTalk“ in der Kirchheimer Stadthalle eingestehen. Die Frauen, die bei ihm auf der Bühne sitzen, sind aber eher eine Rarität als die Norm. Sie alle sind in irgendeiner Art und Weise in Spitzenpositionen tätig. Angelika Matt-Heidecker ist seit 2004 Oberbürgermeisterin in Kirchheim. Heidi Estler ist seit drei Jahren Präsidentin des Deutschen Tanzsportverbandes, beim europäischen Verband „Dancesport Europe“ ist sie Vizepräsidentin. Monica Wüllner ist die stellvertretende Vorsitzende der Sportregion Stuttgart. Sandra Irion ist Vermögens-Managerin bei einer Bank, und Dr. Verena Burk ist Akademische Oberrätin am Institut für Sportwissenschaft an der Universität Tübingen. Alle Frauen haben etwas zu sagen und tragen in ihren Positionen Verantwortung.

In der „Eisbrecher-Runde“, wie Moderator Daniel Räuchle es nennt, wird klar: Frauen haben genauso viel zu sagen wie Männer. „Das ist doch normal. Männer und Frauen können doch das Gleiche machen“, sagt die Oberbürgermeisterin. Doch das spiegelt sich nicht in den Vereinen wieder. Hier fehlen die weiblichen Sportfunktionäre. Doch die Frauen auf dem Podium sind sich einig: Es sollte mehr Frauen geben.

„Durchmischte Vereine sind viel besser,“ erklärt Monica Wüllner. Denn laut Dr. Verena Burk haben sie verschiedene Sichtweisen, und die seien wichtig in einem Verein. Außerdem fühle man sich laut Heidi Estler als Frau außergewöhnlich in einer Spitzenposition. Die Präsidentin des Deutschen Tanzsportverbandes sagt: „Es fühlt sich gut an, ein Exot zu sein.“

Doch warum sind Frauen Mangelware in den Spitzenpositionen der Vereine? Sind die langen Sitzungen das Problem? Wenn es nach Heidi Estler geht, auf jeden Fall: „Frauen arbeiten zielorientierter, da geht die Sitzung dann auch schneller vorbei.“ Eine moderne, aber effektive Lösung sieht Dr. Verena Burk in Skype oder Telefonaten. Denn auch so könne man Dinge klären, ohne für Stunden in einer Sitzung zu verweilen.

Quotenregel zur Verbesserung

„Vielleicht ist auch eine Quotenregelung die Lösung“, überlegt Kirchheims Oberbürgermeisterin. Doch laut Monica Wüllner gehe es nicht darum, die Frauen in eine Funktionärsposition zu zwingen, vielmehr soll die Quote ein Denkanstoß sein. „Eine solche Regelung soll die Männer anregen, darüber nachzudenken, wie man mit Frauen umgeht und sie in den Vorstand holt“, erklärt die stellvertretende Vorsitzende der Sportregion Stuttgart.

Doch die Idee einer Quotenregelung scheint nicht bei jedem gut anzukommen. Die Wortmeldungen aus dem Publikum machen deutlich: Das Ehrenamt benötigt Zeit. Zeit, die viele junge Frauen nicht haben und deswegen trotz einer solchen Regelung nicht in die Vereine kommen. Monica Wüllner ist sich dessen bewusst: „Junge Frauen müssen Familie und Ehrenamt vereinbaren - wie soll das gehen?“, fragt sie und greift das Beispiel der Sitzungen auf: „Wenn die Frauen ihre Kinder dorthin mitnehmen können und es eine Spielecke gibt, ist das Ehrenamt gleich viel attraktiver.“

Ein gutes Netzwerk ist wichtig

Hier sieht die Oberbürgermeisterin eine grundsätzliche Frage. „Man muss sich überlegen, welche Rahmenbedingungen man für Frauen schafft“, sagt Angelika Matt-Heidecker. Männer können genauso gut auf das Kind aufpassen, wenn die Frau in eine Sitzung muss. Außerdem wäre es ihrer Meinung nach wichtig, ein gutes Netzwerk um sich herum zu haben.

Ein allgemeines Problem wird aus dem Publikum angesprochen: Den Vereinen fehlt es nicht nur an Frauen im Vorstand - junge Menschen sind im Ehrenamt die Mangelware. Die stellvertretende Vorsitzende der Sportregion Stuttgart findet dazu die passenden Worte: „Man muss mit den jungen Leuten reden und nicht nur über sie.“

Ramona Wild, stellvertretende Jugendsprecherin der Sportkreisjugend Göppingen, ist bei diesem Thema die richtige Ansprechpartnerin. Die 20-Jährige erzählt: „Ich habe zu meiner Schulzeit die Leichtathletik-AG geleitet und habe keinen Nachfolger gefunden.“ Deswegen sei es wichtig, die Jugend zu fördern und in die Vereine zu holen, bevor sie anfangen, zu studieren oder eine Familie zu gründen. „Natürlich bleibt den jungen Menschen kaum Zeit zwischen Studium, Praktika und Auslandssemester“, erklärt Dr. Verena Burk. Doch wer wirklich im Sport aktiv sein will, schafft das laut Heidi Estler auch neben der Schule und dem Studium.

Doris Imrich, Vorsitzende des VfL Kirchheim, ist schon lange in ihrer leitenden Funktion tätig. Frauen gehören ihrer Meinung nach in die ehrenamtlichen Spitzenpositionen: „Sie bringen Charm in die Sitzungen und nehmen die Schärfe raus.“ Sie appelliert an die Frauen: „Man muss Mut zur Verantwortung haben.“ Denn ein Ehrenamt zu übernehmen, sei mit Verpflichtungen und Aufgaben verbunden.

Das Resümee des Abends liefert Angelika Matt-Heidecker in einem treffenden Satz: „So wie man Männer braucht, braucht man auch Frauen.“