Lokale Kultur

Etwas schlummert in der Schublade

Im Max-Eyth-Haus lasen Autoren aus der Region

Kirchheim. Der Literaturbeirat der Stadt Kirchheim hat die Aufgabe, Literatur von der Region für die Region vorzustellen, wie das auch im literarischen Museum im Kornhaus geschieht. Und was gibt es Regionaleres als Kirchheim und Umgebung?

„Auch in Kirchheim schlummert mancher Text in der Schublade von Autoren“, so vermutete Gastgeberin Renate Treuherz in ihrer Einführung. Um diese Schätze ans Tageslicht zu heben, hat der Literaturbeirat das „Forum“ eingerichtet als Möglichkeit, eigene Werke vorzutragen.

Im Max-Eyth-Haus bot sich eine solche Gelegenheit. Zwei Autorinnen und ein Autor lasen aus ihren Werken. Hans Paulin musste – von wenigen Ausnahmen abgesehen – nicht in die Schublade greifen, sondern kann bereits schon auf drei Bändchen seiner Mundarttexte zurückgreifen. Der Lehrer a. D. ist kein Pensionärspoet, sondern dichtet schon seit über vierzig Jahren und ist immerhin Sebastian-Blau-Preisträger. Er hat Horizont genug, um sein Schaffen einzuordnen. Bescheiden kommt er daher – das soll ja eine schwäbische Tugend sein –, er will dem Leser „a bissle Freud“ machen und ist sich bewusst, dass Mundartdichtung eine starke Neigung zum Klischee hat. Schwäbisch, das heißt in der allgemeinen Vorstellung „Maultaschen, Pfitzauf und Springerle“. Doch der weltläufige Schwabe lernt, dass es Vergleichbares auch im Ausland gibt. „Am End gibt‘s blos oi‘ gotziga Sach, die ons ganz oiga isch und au oiga sei‘ lässt: onser schwäbischa Mundart. Drum sott‘ mer se vielleicht mit and‘re Auga a‘gucka“. Man sieht an diesem Zitat aus dem Vorwort zu „A bissle oiga“, dass verschriflichtes Schwäbisch seine Schwierigkeiten bietet. Umso größer ist die Chance, dass es bei einer Lesung zur vollen Blüte kommt, wenn das Schwäbisch so authentisch dargeboten wird wie von Hans Paulin. Thematisch variiert er, er bietet gefühlsbetonte und reflektierende Frühlingsgedichte, Gedanken zum Lauf der Welt im Großen und im alltäglich Kleinen.

Verschiedenheit der Texte wurde für diesen Nachmittag angekündigt und mit dem Auftritt von Mechthild Schlobach gleich umgesetzt. Sie nahm eine Sonderrolle ein, weil sie nicht Autorin ist, sondern Texte ihres verstorbenen Ehemanns las. Schon 2002 hat sie von ihm „Die Giftküche: Sonderbare und andere Geschichten“ herausgegeben. Sie gab einen kurzen Einblick in das Leben ihres Mannes. Als Flüchtling landete er in Kirchheim, wo er nach dem Tod seiner ersten Frau 1975 Mechthild Schlobach heiratete. In den zwanzig Jahren Kirchheim nahm er rege am literarischen Leben teil, schrieb literarische Texte und auch viele Leserbriefe. Nach einem Schlaganfall war er rechtsseitig gelähmt und konnte nicht mehr schreiben.

Als versierter Erzähler erweist sich Hans H. Schlobach in der Geschichte von dem Jungen, einem Autonarren, der noch ohne Führerschein mit einem Auto ein paar Runden dreht, bis er die Hand eines Skeletts auf der Schulter spürt. Das reicht, um ihn zu kurieren. Auch Gedichte hat Schlobach geschrieben; eines beweist, dass er ein eingemeindeter Schwabe ist: Er überzeugt Petrus an der Himmelspforte von der Güte schwäbischen Weines.

Der Autor liebt auch die Natur. In drei Frühlingsgedichten jubelt er über die Blumenpracht. Mechthild Schlobach las noch die Erzählung ihres Ehemanns „Eine alte Bekanntschaft“: Die Begegnung mit einem traumhaften Mädchen endet tatsächlich glücklich.

Elisabeth Fahrner nahm am Lesetisch Platz und teilte mit, dass drei ihrer Texte aus der Schreibwerkstatt von Rose Alpers stammen, der langjährigen Sprecherin des Literaturbeirats – die Saat geht auf. Gleich der erste Text stammt daher. Das Thema lautet „Rituale“. Die Autorin spießt in ihrem Text „Höflichkeiten im öffentlichen Raum“, Titelhubereien und Floskeln auf. Mit einem weiteren Ritual, dem Handkuss, geht sie ebenfalls kritisch um sowie mit Sprichwörtern, beispielsweise mit „Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein“.

Die zeitgenössische Flucht in die Comic-Fantasiewelt karikiert Elisabeth Fahrner auf indirekte Weise in der Erzählung „Die Comicleserin“. Die Bedienung eines Lokals hat wohl zu viel einschlägige Comics gelesen und sieht lauter Spydermans und Supermans mit ihren Partnerinnen das Lokal betreten. Auch so harmlose Getränke wie der Trollinger gewinnen in ihrer Fantasie eine magische Kraft. Direkt kritisch wurde die Autorin in einem Brief, den sie an die Landeszentrale für politische Bildung geschrieben hat. Sie beklagt nach der letzten Kirchheimer Gemeinderatswahl den geringen Anteil gewählter Frauen.

Nach dieser scharfzüngigen Kritik konnten sich die Zuhörer wieder mit dem Schwäbisch von Hans Paulin behaglicher fühlen. Vom Klischee des schaffigen Schwaben ist die Rede, vom „Kruscht“ und vom tatsächlich stattgefundenen Putzen der Martinskirchenglocken. Sogar eine überzeugende Liebeserklärung auf Schwäbisch gelingt dem Autor.

Die Texte von Autoren aus der Region haben dem erfreulich zahlreichen Publikum Appetit gemacht auf Weiteres. Interessenten für das nächste „Forum“ können sich bei Renate Treuherz unter der Telefonnummer 0 70 21/4 96 56 melden.