Kirchheim

Gegen große kriminelle Energie helfen kleine Tricks nicht mehr

Einzelhandel Auch in Kirchheim entstehen Händlern hohe Verluste durch Ladendiebstahl. Die Täter sind oft dreist und erfinden ständig neue Maschen. Von Heike Siegemund

„Ladendiebstahl ist kein Kavaliersdelikt“, sagt Ralf Gerber. Im Geschäft „Eck - Mode am Markt“ haben es Diebe mit einer elektron
„Ladendiebstahl ist kein Kavaliersdelikt“, sagt Ralf Gerber. Im Geschäft „Eck - Mode am Markt“ haben es Diebe mit einer elektronischen Sicherung zu tun, die am Ausgang Alarm schlägt.
Kameras sind ein Mittel zur Abschreckung.Fotos: Heike Siegemund
Kameras sind ein Mittel zur Abschreckung.Fotos: Heike Siegemund

Kameras, Ladendetektive, Warensicherung und Personalschulung: Es gibt vielerlei Methoden, um potenzielle Diebe abzuschrecken oder - im Ernstfall - auf frischer Tat zu ertappen. Und das scheint notwendig zu sein, wie die Studie „Inventurdifferenzen 2017“ des EHI Retail Institute in Köln, eines Forschungsinstituts des Einzelhandels, aufzeigt. „Im Handel wird nach wie vor alles gestohlen, was nicht niet- und nagelfest ist“, steht in der Studie.

Auch in Kirchheim sind Verluste durch Ladendiebstähle ein großes Thema, berichten Einzelhändler. „Es sind etwa 10 000 Euro, die uns im Jahr pro Betrieb fehlen“, sagt beispielsweise Ralf Gerber. Allein in seinem Geschäft „Fischer Männermode“ seien im vergangenen Jahr Warenverluste in Höhe von 10 600 Euro entstanden, wenn man mit den Verkaufspreisen rechnet. Zum Vergleich: Im Jahr 2015 waren es noch etwa 6 000 Euro. „Es gibt natürlich interne Fehler, wenn zum Beispiel ein Artikel falsch eingebucht wurde, aber das ist ein geringer Prozentsatz“, betont Gerber. Der Großteil entfalle auf Ladendiebstahl, weshalb man mit immer mehr Sicherungsmaßnahmen reagieren müsse.

Gerber setzt in seinen Betrieben auf Kameras, elektronische Warensicherungen, die auf Magnetfelder reagieren und am Ausgang des Geschäfts Alarm schlagen, sowie auf Farbsicherungen. Bei letzteren platzen Farbpatronen, sobald man die Sicherung entfernt - die Farbe beschädigt dann das Kleidungsstück, sodass dieses für den Täter wertlos wird. „Gegen richtig kriminelle Energie sind diese Systeme allerdings nur teilweise geeignet“, räumt Gerber ein. Vor allem professionellen Banden, die auch in Kirchheim ihr Unwesen treiben und von einem Laden zum anderen ziehen, sei damit nicht beizukommen. Diese seien sehr gerissen und verfügten über unterschiedliche Tricks, um die Sicherungen zu umgehen.

„Wir müssen präventiv arbeiten“

Gerber erinnert sich zum Beispiel an Täter, die hochwertige Lederjacken einfach aus dem Fenster reichten und von einem Komplizen mitgehen ließen. Gestohlen werden aber nicht nur teure Artikel wie komplette Anzüge und Markenprodukte, sondern zum Beispiel auch Unterhosen. Durch Zufall entdeckte Gerber im vergangenen Jahr in der Handtasche einer Frau nicht bezahlte Ware. Ein Kleidungsstück habe sie gekauft, „und zwei hat sie eingesteckt.“

Dieser Fall zeigt, wie wichtig die Nähe zum Kunden ist, betont Gerber. „Wir müssen präventiv unterwegs sein. Das haben wir auch bei einem Seminar des City Rings mit der Polizei im Frühjahr gelernt.“ Die Tricks der Täter müsse man kennen, um reagieren zu können. Wertvoll sei auch das Notruftelefon des City Rings: Hier könnten sich die Einzelhändler gegenseitig verständigen, sobald sie auffällige Personen ausfindig gemacht haben. Nicht zuletzt sei man auf die Mithilfe der Kundschaft angewiesen, die ebenfalls aufmerksam sein sollte, wünscht sich Gerber.

Karl-Michael Bantlin, Vorsitzender des City Rings, bittet die Kunden um Verständnis: „Wir können unsere Kunden nicht alleine auf einem Stockwerk lassen - das birgt Gefahren.“ Fast 20 000 Euro haben im Modehaus Bantlin im vergangenen Jahr gefehlt, informiert er. „Das ist ein belastender Posten.“ Bantlin setzt vor allem auf viel Personal, um die Verluste durch Ladendiebstahl zu minimieren. Generell betreffe das Thema alle Branchen, besonders aber zum Beispiel Parfümerien, die relativ kleine, aber hochpreisige Artikel anbieten.

Manche Diebe allerdings machen auch vor größerer und schwieriger zu transportierender Ware nicht Halt: So berichtet Philip Renken von Intersport Räpple von Tätern, die Skier aus dem Geschäft tragen wollten. Zum Glück sei dieser Versuch dank aufmerksamer Mitarbeiter gescheitert. Auch bei Intersport Räpple setzt man vor allem auf Personalschulungen, um präventiv vorzubeugen. „Bei professionellen Banden haben wir jedoch fast keine Handhabe - die sind zu gut“, sagt Renken. Der größere Teil seien indes Gelegenheitsdiebe, von denen vor wenigen Wochen zwei erwischt werden konnten. In dem Sportgeschäft seien anschließend mehrere bekannte Gesichter plötzlich nicht mehr gesehen worden, berichtet Renken. „Ich habe das Gefühl, dass es von diesen Tätern eine kleine Szene gibt“, sagt er. Dort spreche sich herum, in welchem Geschäft momentan besonders aufgepasst werde.

Generell hat Renken den Eindruck, dass die Diebe dreister sind als früher. Seine Mitarbeiter haben trotzdem keine Angst vor möglicherweise gewaltbereiten Tätern, betont er. Bei Intersport Räpple gebe es große und muskulöse Mitarbeiter, die den Verkäuferinnen im Notfall helfen können, sagt er.

Die Gewaltbereitschaft war noch nie so hoch

Laut der Studie „Inventurdifferenzen 2017“ des EHI Retail Institute hat in den vergangenen Jahren der organisierte und gewerbsmäßige Ladendiebstahl stark zugenommen. Die Täter gingen oft in Gruppen mit gezielter Aufgabenverteilung vor. Bei der Bekämpfung der Diebstähle komme vor allem der Aufmerksamkeit und Sensibilität der Mitarbeiter eine Schlüsselrolle zu. Verlängerte Öffnungszeiten bei geringerer Personalbesetzung mache es jedoch immer schwieriger, eine „Flächenaufsicht“ zu gewährleisten und dadurch Inventurdifferenzen einzudämmen.

Jährlich investiere der Handel rund 1,3 Milliarden Euro in Präventions- und Sicherungsmaßnahmen, um seine Waren vor Diebstählen zu schützen. Dazu gehörten unter anderem Kameraüberwachung, Detektiveinsätze, Personalschulungen und Artikelsicherungsmaßnahmen.

Noch nie sei die Einschätzung zur weiteren Zunahme des organisierten Ladendiebstahls und die zumindest gefühlte Zunahme der Gewaltbereitschaft potenzieller Diebe so hoch gewesen wie 2017, ist dort weiter zu lesen. Darüber hinaus sei aus Sicht vieler Einzelhändler die Rechtsprechung und Strafverfolgung unzureichend. hei