Kirchheim

Gestürzter Fußgänger hätte auf den Weg achten müssen

Urteil Auch das Oberlandesgericht Stuttgart gibt der Stadt Kirchheim in einem Berufungsverfahren Recht.

Gericht
Symbolbild

Stuttgart. Ein Mann gerät ins Straucheln, kann sich nicht mehr abfangen und geht zu Boden. So weit, so alltäglich. Allerdings kommt er nicht mehr so leicht wieder auf die Füße, vor allem nicht so schnell: Er hat sich beim Sturz einen Trümmerbruch der rechten Kniescheibe zugezogen. Somit sieht sein Alltag für lange Zeit ganz anders aus, als er es zuvor gewohnt war. Und das will er so nicht hinnehmen: Er verklagt die Stadt Kirchheim, weil ihm das Malheur mitten in der Dettinger Straße zugestoßen ist - im Abschnitt zwischen Schmied- und Stiegelstraße. Die Stadt habe ihre Verkehrssicherungspflicht vernachlässigt. Deshalb verlangt er Schmerzensgeld und Schadensersatz.

Konkreter Grund für den Vorwurf: Im Straßenpflaster hatte ein Stein gefehlt. Das Loch war dem Kläger zufolge 15 Zentimeter tief. Würde die Stadt sich um ihr Pflaster kümmern, könnten solche Löcher gar nicht erst entstehen. Dass dieser Vorwurf richtig ist, ergibt sich für den Mann auch aus der Tatsache, dass die Stadt nach dem Vorfall die Gefahr behoben hat. Wenn also zum Zeitpunkt seines Unfalls alles in Ordnung gewesen wäre, hätte die Stadt ja nicht so schnell reagiert und die schadhafte Stelle ausgebessert.

Das Landgericht sieht das anders: Der Stadt ist keine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht nachzuweisen. Der 75-Jährige besteht aber auf seinem Recht und legt Berufung ein. Das Landgericht habe es versäumt, die von ihm benannten Zeugen zu hören, und deswegen mangelnde Sachaufklärung betrieben.

Im Oberlandesgericht Stuttgart wurden gestern also beide Zeugen befragt, die dem Mann nach dem Sturz geholfen hatten. Zur Tiefe des Lochs können sie aber keine genauen Angaben machen. Die Frau spricht von fünf Zentimetern. Auf die Frage, wie sie zu dieser Angabe kommt, antwortet sie: „Augenmaß und Pi mal Daumen.“

Letztlich geht es dem Gericht aber gar nicht um die Detailtiefe des Lochs im Straßenbelag. Der Vorsitzende Richter Matthias Haag erläutert dem Kläger die Rechtslage: „Der Sturz ist nicht vor einem Schaufenster passiert.“ Deshalb sei hier auch nicht vom „typischen Ablenkungsfaktor“ auszugehen, der sonst dafür sorgen könnte, dass Fußgänger nicht so sehr auf den Weg achten.

Auch die Fotos von der Unfallstelle zeigen für die Richter am Oberlandesgericht klar: „Dieser Weg ist wahrnehmbar und beherrschbar.“ Das klingt vielleicht etwas verklausuliert, heißt aber nichts anderes als das, was der Vorsitzende Richter schon zuvor angedeutet hat: „Jeder ist selbst - zum Eigenschutz - verpflichtet, auf den Weg zu achten und auf den Boden zu schauen.“ Man könne von einer Stadt nicht verlangen, in jedem Bereich, in dem Fußgänger unterwegs sind, alles eben zu machen, um jede mögliche Stolperfalle zu vermeiden. Auch das nachträgliche Ausbessern durch die Stadt sei nicht als Eingeständnis einer Schuld zu bewerten.

Matthias Haag zeigt sogar Verständnis für den Kläger: „Für Sie ist das ein richtig ärgerlicher und schmerzhafter Schaden.“ Trotzdem empfiehlt er ihm, die Berufung zurückzunehmen, weil das Oberlandesgericht sonst das Urteil des Landgerichts bestätigen werde. Da der Kläger jedoch - trotz Beratung durch seinen Anwalt - auf der Berufung beharrt, kriegt er schließlich doch das OLG-Urteil zu hören. Dessen wesentlicher Inhalt lautet: „Das Urteil des Landgerichts ist vollstreckbar. Revision ist nicht zugelassen.“ Andreas Volz