Lokale Kultur

Himmlische Blicke ins irdische Leben

„Leipziger Pfeffermühle“ überzeugte mit „Drei Engel für Deutschland“

Kirchheim. Im Jahr ihres 60. Bestehens wollten die aktuellen Ensemble-Mitglieder der legendären „Leipziger Pfeffermühle“ erkennbar hoch hinaus. Mit einem freiwillig sich auferlegten kabarettistischen

Wolf-Dieter Truppat

Himmelfahrtskommando versuchten sie erfolgreich, sich einen ganz besonders tiefenscharfen Überblick über die Niederungen des erfolgreich hinter sich gelassenen Alltags zu verschaffen, der offensichtlich auch vom Dunstkreis des Himmels über Kirchheim aus in weiter Ferne und doch so nah ist.

„Drei Engel für Deutschland“ lautet der Titel des politisch nicht immer ganz korrekten Programms, mit dem die stimmgewaltige Manja Kloss und ihre beiden Kollegen Rainer Koschorz und Dieter Richter auf Einladung des Kulturkreises Ötlingen vorbildlich präsentierten, wie konsequent gegen den Strich bürstendes Kabarett eigentlich sein soll. Der kritische Blick aus fernen Sphären machte zugleich auch deutlich, warum die von witzigen Wortspielen, politisch-pointierter Polemik und wirtschaftswissenschaftlichen Weisheiten geprägte himmlische Heimsuchung von gleich drei engelsgleichen Lichtgestalten niemals mit den von Comedians jedweder Couleur geradezu inflationär versendeten Beiträge zur Lage der Nation verwechselt werden können.

Mit beamtisch-bodenständiger Gewissenhaftigkeit stellen sich die drei grundsoliden Polit-Agitatoren den schwierigen und aufreibenden Herausforderungen des „Himmlischen Öffentlichen Dienstes (HÖD)“ und verwalten – nach buchstabenorientiert gewissenhaft von „A bis K“ und „L bis Z“ aufgeteilten Aufgabenschwerpunkten – den von oben wohl ganz besonders deutlich erkennbaren Wahnsinn des Alltags.

Den Begrenztheiten des irdischen Daseins, den enorm normierenden Vorgaben aus Brüssel und den sich offensichtlich deutlich davon unterscheidenden Gepflogenheiten ihres einstigen Lebens enthoben, können sich die „Drei Engel für Deutschland“ ein eigenständiges Urteil über die unsägliche Welt da unten zutrauen und sind dabei nicht auf vorgegebene Rangfolgen der etwas in Verruf gekommenen gelben Vereinsengel des ADAC angewiesen.

Im Wohlfühl-Ambiente im direkten Einzugsgebiet von „Wolke sieben“ erheben sie lautstark ihre kritischen Stimmen und rechnen unbarmherzig ab mit der von ihnen zurückgelassenen „Schönen Neuen Welt“, der sie aus der gewonnenen Distanz inzwischen allerdings auch nur noch wenig Erfreuliches abgewinnen können. Vom kollegialen Kampfgetöse gegen erkennbare Ungerechtigkeiten der himmlischen Kaffeekassen-Kollekte nur gelegentlich von ihrer wahren Mission abgelenkt, konzentrieren sie sich auf die vor ihnen ausgebreiteten Besonderheiten der Welt. Neben dem „Wunder zu Kanaan“ und dem „Wunder von Bern“ möchten sie unbedingt auch „Helmut Schmidts Lunge“ dazu zählen.

In der grenzenlosen Freiheit über den Wolken lassen sie sich dann auch nicht artig darauf beschränken, dilettantisch irgendwelche Harfen zu quälen. Der unter ihnen weilende Steve Jobs hat schließlich längst eine komfortable himmlische Harfen-App eingerichtet und so können sie sich endlich vor allem darauf konzentrieren, nur noch kurz die Welt retten zu müssen.

Selbst aus größter Entfernung fokussieren sie sich immer wieder auf ihren „Lieblingsbanker“ Josef Ackermann und seine mit ihm in unbegreiflichen Parallelwelten lebenden Kollegen. Während das Pfeffermühlen-Trio kontrovers über Integrationskurse für diesen fragwürdigen Berufsstand sinniert, dessen Angehörige sie eigentlich gerne in einem Steinbruch schuften lassen würden, sind sie sich völlig einig darüber, dass der Afghanistan-Krieg genauso beendet werden müsste wie die Besorgnis erregende Korruption. In diesem Zusammenhang in Verdacht stehende Machthaber hätten sich allein damit eigentlich schon längst für Betriebsrats-Positionen bei VW empfohlen, wenn bei den großzügig gesponsorten Besuchen fragwürdiger Etablissements sichergestellt ist, dass die Dienstleisterinnen zumindest punktuell verschleiert sind.

Auch die Landflucht der Ärzte, die nun einmal nicht langfristig durch beliebige Tierarzt-Kollegen ersetzt werden können, bereitet den drei himmlischen Harfenisten größte Sorge. Um sich und ihr Publikum von der latent drohenden Gefahr abzulenken, dass man künftig wegen eines gebrochenen Beines kurzerhand erschossen werden könnte, singen sie im perfekt beherrschten Timbre von Nana Mouskouri gut gelaunt über „Herpes-Bläschen aus Athen“ und mit dem Wolken-Überflieger Reinhard Mey darüber, dass offensichtlich „zwischen den Zehen“ der Fußpilz „so grenzenlos sein“ kann.

Dass sich Gesundheits-Pate Don Corleone von einem unterwürfigen Bittsteller letztlich doch dazu erweichen lässt, sich großzügig eine Aspirin-Tablette zu genehmigen - um dafür im Gegenzug eine gesunde Niere zu kassieren - lässt einen genauso bitteren Nachgeschmack zurück wie die Freude über großzügig gewährte Rettungsschirme, die niemanden im Regen stehen lassen, „Mutti Merkel“ in ganz Europa aber angeblich stärker gegen sich aufbringen als der ebenfalls auf der Bühne wiederbelebte Führer.

Angesichts einer frauenquotenmäßig gut unterbauten Ausgewogenheit erstaunte nicht, dass die beiden Männer von ihrer Kollegin nicht uneingeschränkt für ihre Kernkompetenz Fortpflanzung gelobt, sondern vor allem wegen fragwürdiger Sperma-Qualitäten, einem erkennbaren Hang zu Haarausfall und unter dem Motto „Urbi et Obi“ auch noch ihrer fragwürdigen Modellbau-Hobbys wegen unbarmherzig vorgeführt wurden.

Eine im Jahr 2034 im Alter von 95 Jahren zu erwartende Rente, ihr Kindergeld selbst verdienen müssende Jugendliche und in den Untergrund abwandernde Vegetarier bestimmten dann den thematischen Ausklang eines Stadthallenabends, der bei aller Heiterkeit Nachdenkenswertes hinterlässt, und damit doch noch einmal nachhaltig den Unterschied zwischen Kabarett und Comedy-Klamauk aufzeigen konnte.