Kirchheim

Im Ernstfall muss jeder Handgriff sitzen

Unfälle Die Fahrzeugtechnik entwickelt sich rasant weiter – auch bei Lkws. Fortbildungen für Rettungskräfte sind deshalb wichtig, um Menschen zu retten. Von Daniela Haußmann

Ausrangierte Laster sind schwer zu bekommen. Um etwa ein Führerhaus im Ernstfall sicher und effektiv zerlegen zu können, müssen
Ausrangierte Laster sind schwer zu bekommen. Um etwa ein Führerhaus im Ernstfall sicher und effektiv zerlegen zu können, müssen die Rettungskräfte allerdings üben. Foto: Daniela Haußmann

Zwei Laster krachen ineinander. Das Fahrerhaus des Unfallverursachers ist durch den Aufprall eingedrückt. Schwer verletzt wartet der zwischen Steuer und Armatur eingeklemmte Lkw-Fahrer auf Hilfe. Es sind Unfälle wie diese, zu denen die Feuerwehrleute aus Kirchheim und Wendlingen ausrücken, um Menschen aus ihrer Notlage zu befreien. Tag für Tag rollen Hunderte von Brummis durch Kirchheim, über die Landstraßen rund um die Teckstadt, aber auch die nahegelegene Autobahn. Kommt es zu Kollisionen, muss bei den Rettungskräften jeder Handgriff sitzen. Dafür werden sie in Theorie und Praxis ausgebildet.

„Doch es ist gar nicht so leicht, an einen ausrangierten Laster heranzukommen“, berichtet Michael Eiting, der bedauert, „dass die Fahrzeuge, im Gegensatz zu Autos nicht auf dem Schrottplatz landen, sondern ins Ausland wandern, wo sie weiter Güter transportieren.“ Gelingt es, einen der begehrten Laster für Übungszwecke zu finden, grenzt das schon fast an ein Wunder, wie der Ausbilder von der Freiwilligen Feuerwehr Kirchheim bilanziert. Mit Schwung werfen die Kameraden einen Spanngurt über das Fahrerhaus und zurren ihn fest. „Bei einem Unfall wirken enorme Kräfte. Die Traversen, die die kippbare Kabine mit dem Chassis verbinden, können brechen“, erklärt Michael Eiting. „Der Spanngurt soll damit verhindern, dass das Fahrerhaus während der Rettungsarbeiten nach vorne wegklappt.“

Die Feuerwehrleute verlieren keine Zeit. Unter der Anleitung von David Heinkele, einem Ausbilder der Freiwilligen Feuerwehr Böblingen, erkunden die Fortbildungsteilnehmer die Lage. Der Laster hat weder Gefahrenstoffe noch andere Güter geladen. „Da das Fahrerhaus demoliert ist, schneiden wir uns im Frachtraum durch die Bordwand, die direkt an die Kabine grenzt, und befreien so den Verletzten“, skizziert Heinkele das weitere Vorgehen. Fabian Carucci legt die Säge an. Während der Kirchheimer das Metall durchtrennt, bauen die übrigen Feuerwehrleute eine Plattform auf. Dank ihr kann Herbert Armbruster ohne großen Aufwand die Frontscheibe mit einer Glassäge aus dem Rahmen entfernen und zum Fahrer in die Kabine steigen. „Denn die größte Herausforderung beim Lkw ist die Höhe“, erklärt der Wendlinger Feuerwehrmann.

Während er sich und den Dummy mit einer Plane vor herumfliegenden Splittern schützt, wird draußen die Frontverstärkung durchtrennt. Anschließend quetschen die anderen auf der Plattform mit einem Spreizer die Fahrzeugtüre am Fensterrand ein. Krachend entsteht zwischen Rahmen und Türe ein Spalt, in den das Gerät anschließend hineingeschoben wird. Langsam öffnet sich der Spreizer. Ein lauter Knall, und im nächsten Moment baumelt die Türe auch schon lose an der Sicherungsleine.

Anders als beim Auto können im Frachtraum von Brummis Gefahrenstoffe lagern. „Handelt es sich um einen Tanklastzug, wird der Gefahrgutzug des Landkreises Esslingen alarmiert, der den Kraftstoff in ein Spezialfahrzeug umpumpt“, berichtet Michael Eiting. „Hat das Fahrzeug Säure, Chlor, Lauge oder dergleichen geladen, ziehen wir Experten wie zum Beispiel Werkfeuerwehren von Chemieunternehmen hinzu.“ Frontverstärkungen, die selbst für Einsatzgeräte schwierig zu knacken sind, oder innovative Sicherheitseinrichtungen haben die Arbeit der Rettungskräfte in den letzten Jahren erschwert.

„Ein Beispiel sind Airbags. Die sind in jedem Laster verbaut, allerdings an völlig unterschiedlichen Positionen“, gibt der Experte zu bedenken. „Markierungen, die zeigen, wo die Gaspatronen sitzen, die bei einem Unfall die einzelnen Luftkissen öffnen, sind nicht angebracht.“ Folglich muss die Feuerwehr erst einmal über die Leitstelle oder eine Software in Erfahrung bringen, wo sie die Schere ansetzen kann, ohne die Ladung zu beschädigen. Andernfalls könnten Retter oder Insassen Schaden nehmen. Die Technik entwickelt sich rasant weiter. Zwischenzeitlich haben es die Feuerwehrleute laut Michael Eiting bei der passiven Sicherheitstechnik im Fahrzeugbau mit sehr widerstandsfähigem Material zu tun, das mehrfach zusammengedrückt oder gedreht werden muss, damit es überhaupt nachgibt. „Wenn bisher praktizierte Rettungsmethoden nicht zum Ziel führen, müssen die Kameraden“, nach Ansicht des Ausbilders, „schnell und flexibel am Unfallort alternative Vorgehensweisen anwenden, um Unfallopfer aus ihrem Fahrzeug zu befreien.“ Fortbildungen wie diese sind deshalb unerlässlich.

Der Rettungsablauf bei einem Unfall folgt festen Regeln, das gilt auch bei Verkehrsunglücken, die sich mit Lastern ereignen. Fot
Der Rettungsablauf bei einem Unfall folgt festen Regeln, das gilt auch bei Verkehrsunglücken, die sich mit Lastern ereignen. Foto: Daniela Haußmann

Kleinlaster maßgeblich an Unfällen in Orten beteiligt

Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes waren im Jahr 2015 insgesamt 32 500 Fahrer von Güterkraftfahrzeugen an Unfällen mit Personenschaden beteiligt. Das waren 31,2 Prozent weniger als 1995.

Innerorts ereigneten sich 49,1 Prozent der Unfälle, bei denen Menschen zu Schaden gekommen sind.

Auf Landstraßen waren es 27,1 Prozent.

Auf Autobahnen geschahen 23,8 Prozent.

Die Statistiker betonen, dass die innerörtlichen Zusammenstöße mit einem Anteil von 60,9 Prozent von Kleinlastern verursacht werden.

Das Risiko, bei einem Lkw-Unfall getötet zu werden, ist für die anderen Unfallbeteiligten mehr als viermal so hoch wie für die Insassen eines Last­wagens.dh