Kirchheim

Im Land der positiven Neugier

Sabbatquartal Renate Kath hat sich an der Near East School of Theology in Beirut fortgebildet und im Libanon Land und Leute sowie 18 verschiedene Religionsgemeinschaften kennengelernt. Von Andreas Volz

Es ist eine ganz andere Welt, in die Kirchheims Dekanin Renate Kath Ende vergangenen Jahres eingetaucht war. „Im Libanon gibt es 18 unterschiedliche Religionsgemeinschaften“, berichtet sie über ein Zusammenleben, das man kaum für möglich halten würde. Aber vielleicht ist ja gerade die Vielzahl in dieser Vielfalt entscheidend, denn eine der Grundregeln hat Renate Kath auch selbst erfahren: „Man respektiert die Geistlichkeit der anderen Religionen.“

Besonders schwierig kann das werden, wenn zu den religiösen Unterschieden noch andere, kulturelle Gegensätze hinzukommen - wenn es also eine Frau ist, die die Geistlichkeit einer anderen Religion vertritt: „Im gesamten Libanon gibt es derzeit drei ordinierte Frauen. Eine von ihnen wurde während meines Aufenthalts ordiniert.“ Wenn diese Zahlen auch nur langsam steigen, kann sich prozentual dafür umso mehr tun. Mit zwei Armenierinnen hat Renate Kath nämlich über deren bevorstehende Ordination gesprochen und mit ihnen vereinbart: „Wenn es so weit ist, fliege ich in den Libanon, um dabei zu sein.“

Dennoch ist Renate Kath während ihres zwölfwöchigen Kontaktsemesters an der Near East School of Theology (NEST) in Beirut nicht so sehr wegen ihres Berufs aufgefallen, sondern viel grundsätzlicher: „Wir wurden überall als Ausländer erkannt.“ Und das ist mitunter sogar ein Vorteil: „Da weiß man im Zweifelsfall - die provozieren nicht.“

Deshalb hat sie sich auch jederzeit sicher gefühlt. Auf die Frage, ob es im Libanon nicht sehr gefährlich sei, antwortet sie meist: „Auch ein Weihnachtsmarkt in Berlin kann gefährlich sein.“ Dazu kommt es noch darauf an, wie man sich verhält: „Man sollte nicht unbedingt in einer schiitischen Stadt die Märtyrerposter fotografieren.“

Gespräche hat Renate Kath mit Vertretern fast aller Religionen geführt. Das reichte vom griechisch-orthodoxen Erzbischof bis hin zu einer schiitischen Krankenschwester. Die Gespräche sind allesamt friedlich verlaufen und waren vom wechselseitigen Interesse geprägt. Das hat auch mit der Mentalität zu tun: „Die Menschen haben dort eine positive Neugier auf den anderen.“

Wie funktioniert das Miteinander in einer weiteren heiklen Frage - der Kleiderordnung, insbesondere für Frauen? „Da gibt es alles: die vollverschleierten Frauen, die Frauen mit Kopftuch, die aber trotzdem nach der neuesten Mode gekleidet sind, und die Studentinnen im kurzen Rock, die in Stuttgart höchstens noch durch ihre Sprache auffallen würden.“

Renate Kath hat ihr Kollarhemd, das sie als geistliche Würdenträgerin kennzeichnet, nur zu offiziellen Anlässen getragen - beim Empfang in einem Kloster sogar fast als einzige aus ihrer Gruppe: „Außer einem Kollegen und mir waren alle anderen viel legerer gekleidet. Prompt hat der Abt sich um uns beide besonders bemüht. Er hat uns am Kollarhemd als diejenigen ausgemacht, die die wichtigsten Personen sein müssen.“

Bewusst hat sie das Kollarhemd aber nur einmal eingesetzt: beim Heimflug, in der Hoffnung, dass man ihr die kleineren Sünden beim Koffergewicht ohne weitere Nachfragen durchgehen lässt.

„Was hat jetzt die Kirche davon?“ Diese Frage stellt Renate Kath selbst schon einmal vorsorglich. Die Antworten sind vielgestaltig. Zum einen bietet sie jetzt in allen möglichen Gruppen und Kreisen an, über Land und Leute im Libanon zu berichten. Zum anderen möchte sie sich sogar über das Berufsleben hinaus einbringen im Austausch zwischen der württembergischen Landeskirche und dem Nahen Osten: „Da braucht man Leute, die vor Ort waren und die die Kontakte pflegen. Man muss auch wissen, wohin Spendengelder fließen.“

Reisen ist lehrreicher als ein Buch

Noch einen weiteren Grund nennt die Dekanin, warum es sinnvoll war, ihre einmalige Auszeit im Libanon zu verbringen: „Natürlich hätte ich auch in Kirchheim Bücher über den Koran lesen können. Aber wichtig sind die Begegnungen. Vor Ort erfährt man so viel mehr als aus allen Büchern.“

Sehr beeindruckt haben sie die „Fighters for Peace“, die Kämpfer für den Frieden. Einstige Bürgerkriegskämpfer gehen gemeinsam an Schulen - der frühere Feind an der Seite des früheren Feindes -, um zu sagen: „Wir haben ziemlich viel zerschlagen und ziemlich viel kaputt gemacht. Jetzt setzen wir uns dafür ein, dass der Bürgerkrieg nicht wieder aufflammen soll.“ Das ist eine besondere Friedensbotschaft aus dem Nahen Osten, aus dem Land der Zedern.