Kirchheim

Kalkstaub am ICE-Tunnel sorgt für Ärger

Großbaustelle Immer wieder wird unsachgemäß Kalk an der Tunnelbaustelle eingesetzt. Der Staub wird bis in Kirchheimer Stadtgebiete geweht. Von Iris Häfner

Der Abraum aus den Tunnelröhren soll staubfrei zum Abtransport bereitgestellt werden. Foto: Markus Brändli
Der Abraum aus den Tunnelröhren soll staubfrei zum Abtransport bereitgestellt werden. Foto: Markus Brändli

Baustellen vor der Hautür sind allenfalls für baggerbegeisterte Jungs ein ungetrübter Quell der Freude. Der Rest wünscht sich nur eines: ein schnelles Ende der Arbeiten, bedeuten sie doch in der Regel nichts anderes als Lärm und Dreck. Keine Ausnahme macht dabei die Großbaustelle für die ICE-Trasse bei Kirchheim. Die Tunnelarbeiten sorgen seit Monaten regelmäßig für Ärger. Waren es im vergangenen Herbst die falsch angeschlossenen Leitungen von Frisch- und Abwasser, so sind es jetzt die seit Wochen immer wieder auftretenden Kalkwolken. Der Kalk wird zum Binden des Abraum-Materials benötigt. Zwar liegt die Abraumhalde der Tunnelbaustelle nicht direkt in einem Wohngebiet, betroffene Anwohner gibt es aber trotzdem zu Genüge. Das liegt vor allem am Wind, der den Kalk von der Baustelle über die Autobahn in Richtung Kirchheim weht. Bei Ostwind sind auch Teile von Dettingen betroffen.

So soll es auf der ICE-Baustelle nicht aussehen: Erneut gab es große Kalkstaubwolken über den Abraumhalden.  Foto: pr
So soll es auf der ICE-Baustelle nicht aussehen: Erneut gab es große Kalkstaubwolken über den Abraumhalden. Foto: pr

 

Am vergangenen Wochenende war wieder großer Kalkstaub-Alarm. Doch auch ohne diese extreme Staubbelastung müssen die Kirchheimer Anwohner alle zwei Tage ihre Autos waschen, um dauerhafte Lackschäden zu vermeiden. Der latent vorhandene weiße Film setzt sich auf allem ab, was ihm in die Quere kommt. „Über Nacht hatte ich einen Topf zum Abkühlen auf meinen frisch gereinigten Glastisch gestellt. Am nächsten Morgen stach die saubere Fläche ins Auge, als ich den Topf hochgehoben hatte“, erzählt eine Anwohnerin.

Der Bahn sind die Probleme bekannt. „Die Baufirma hat die klare Anordnung: Sobald es staubt, muss das Kalken eingestellt werden. Es gibt diese klare Order“, sagt ein Sprecher. Die Maschine, mit der gekalkt wird, war kaputt, erfuhr er auf Nachfrage bei der Baufirma, weshalb es am Wochenende erneut zu der massiven Staubbelastung gekommen war. Weshalb an manchen Tagen kaum Kalk in der Luft ist, an anderen gleich große Wolken, ist dem Bahnsprecher ein Rätsel. „Man kann es offensichtlich hinbekommen“, sagt er. Regelmäßig sei ein Staubschutzbeauftragter auf der Kirchheimer Baustelle, auch das Bundeseisenbahnamt kontrolliert stichprobenartig, wie auf Nachfrage zu erfahren war.

Über solche Aussagen reiben sich Anwohner und Rad-Pendler, die regelmäßig an der Baustelle vorbeifahren, verwundert die Augen. Seit Wochen müssen sie mit dem Kalkstaub leben. Was dem Autolack schadet, kann auch dem Menschen nicht zuträglich sein. Nicht umsonst wurde der Radweg bereits verlegt. „An gesundheitlichen Wirkungen steht bei Einwirkung von Branntkalk-Staub (Kalziumoxid) eine Reizung der Haut und Augen sowie der Schleimhäute des Nasen-Rachen-Raums und der Atemwege im Vordergrund. Bei intensivem Kontakt in Verbindung mit Wasser (Vorgang des „Kalklöschens“) sind Ätzwirkungen und Verbrennungen möglich“, teilt Désirée Bodesheim, Pressereferentin beim Regierungspräsidium, mit.

Der Bahnsprecher versichert, regelmäßig und mit Nachdruck Verbesserungen zu fordern, damit die Firma Implenia das Kalk-Problem in den Griff bekommt. Dauerhaften Erfolg konnte die Deutsche Bahn damit noch nicht erzielen, versichert aber, weiterhin die Sache im Blick zu haben.

Immerhin, ein Problem haben die Anwohner schon überstanden: den Bohrlärm. Die Röhren unter der Autobahn auf Höhe des Altvaterwegs sind fertiggestellt. Damit besteht nicht mehr die unmittelbare Nähe zu den Häusern. „Das war, als ob der direkte Nachbar mit der Schlagbohrmaschine die Wand einreißt“, beschreibt eine Anwohnerin den Lärm.

Kommentar: Jetzt reicht‘s

Wie viel Dilettantismus müssen die Anwohner noch aushalten? Da haben Geologen vor zig Jahren ihre Arbeit abgeliefert, den Untergrund analysiert und die Ergebnisse festgehalten, die sämtlichen Beteiligten vorliegen. Keine Unbekannte ist auch die Tatsache, dass in Kirchheim relativ dicht unter der Autobahn der Tunnel für die ICE-Trasse zwischen Stuttgart und Ulm gegraben und deshalb ein entsprechendes Bohrverfahren angewendet werden muss.

Und was geschieht? Laienhaft anmutende Versuche, das Steingemisch zu binden, als ob man technisches Neuland beträte. Mal wird der staubtrockene Kalk mit dem pappnassen Schwarzjura mithilfe von Baggerschaufeln vermengt, mal mit einer Fräse untergegraben, mal mit einer Anlage auf dem Förderband gebunden. Ist die Anlage defekt, stehen Männer in Schutzkleidung auf dem Band und dosieren von Hand die Kalkzugabe. Hat einer kein gutes Händchen, dosiert falsch oder baggert zu wild, ist zu viel Kalk in der Luft und verteilt sich in die Umgebung.

Professionalität sieht anders aus - und diesen Schuh müssen sich sowohl die Baufirma Implenia als auch der Auftraggeber, die Deutsche Bahn, anziehen. Von Iris Häfner