Lokale Kultur

Langnasige Lügen mit kurzen Beinen

Das Kammertheater Karlsruhe präsentiert im Kirchheimer Stadtkino Carlo Collodis Klassiker „Pinocchio“

Kirchheim. Wie schön Schule sein kann, erlebten Schulkinder der Konrad-Widerholt- und der Eduard-Mörike-Schule im voll besetzten Stadtkino. Dass Schule auch ganz anders

aussehen kann, wissen die Abgangsklassen der Gymnasien. 77 000 Abiturienten in spe konzentrieren sich bekanntlich im Land aktuell auf die laufende stressige Reifeprüfung.

Während die Prüfungsabsolventen im Fach Deutsch zwischen Kleist, Dürrenmatt oder Kafka wählen konnten, war der Stoff für ihre künftigen „Nachfolger“ klar vorgegeben. Im Rahmen der inzwischen schon elften „Kirchheimer Kinder- und Jugendtheaterwochen Szenenwechsel“ präsentierte auf Einladung des Kulturrings eine Abordnung des Kammertheaters Karlsruhe das für Zuschauer ab fünf Jahren und Erwachsene gleichermaßen geeignete Stück „Pinocchio“ nach dem Kinderbuch-Klassiker von Carlo Collodi.

In der Ausstattung von Manuela Pirozzi sorgten Stefanie Friedrich, Kirsten Potthoff und Mike Langhans in der Inszenierung von Danielle Strahm für – fast – uneingeschränktes Vergnügen. Die Bretterwand der Werkstatt des Holzschnitzers Gepetto, die zwischendurch auch zur Schattentheaterbühne wurde, auf der eine abenteuerliche Episode im Bauch eines Wals einfach, aber überzeugend dargestellt wird, war leider nicht „auf Augenhöhe“, sondern nur zwischen der Bühne und den ersten Stuhlreihen unterzubringen.

Da die ungemein intensiv mitgehenden Kinder freilich immer alles ganz genau sehen wollten, um den naiven Holzbengel rechtzeitig stimmgewaltig vor erkennbaren Gefahren warnen zu können, waren die nicht idealen Einsichten ins turbulente Bühnengeschehen ein gewisses Handicap. Das konnte aber letztlich die Begeisterung nicht schmälern. Die ansonsten rundum gelungene Aufführung endete mit viel Applaus und Zugaben-Forderungen.

Die in immer wieder anderen Rollen und gelungenen Kostümen auftretenden Schauspieler boten ihrer Kundschaft aber auch ungemein viel an. Da schnitzte ein solider Handwerker eine lebensechte Marionette, die nicht von Fäden gesteuert werden, sondern das plötzlich erwachende Leben selbst in die Hand nehmen will. Begeistert von dem ihm überraschend geschenkten Kind will der stolze Vater sich nicht lumpen lassen und verkauft seinen letzten Kittel, um ihm das wertvollste Gut zu schenken, das allein den nicht möglich scheinenden Karrieresprung von der Holzpuppe zum menschlichen Wesen sichern könnte: Zugang zu Bildung.

Statt Bücher, Hefte und Stifte zu kaufen, will der schon schnell sehr menschlich gewordene Holzbengel ganz besonders clever sein und sein Geld im „Garten der Wunder“ für sich arbeiten lassen, um mit dem Gewinn sein neues Leben zu gestalten. Den tolldreisten Verführungskünsten von Fuchs und Katze erliegt er dann aber genauso konsequent, wie er die guten Ratschläge der um ihn besorgten und ihn immer wieder rettenden Grille in den Wind schlägt.

Da Pinocchio anfangs alles verspricht und nichts hält, wird seine Nase mit jeder neuen Lüge und jedem falschen Versprechen noch etwas länger. Nachdem er mit viel Glück den „Monstergespenstern“ und der angeblich so tollen „Spielschule“ entkommt, in der leichtgläubige Opfer in Esel verwandelt, gequält und verkauft werden, begreift er endlich, wie gut sein Vater es mit ihm meint und wie richtig die Ratschläge der „nervenden“ Grille stets waren.

Am Ende war also alles gut. Dass die Kinder nicht immer alles gesehen hatten, störte zuletzt gar nicht mehr, weil sie alle aus der alten Geschichte etwas lernen und viel für ihr eigenes Leben mit nach Hause nehmen konnten.