Kirchheim

Mehr als nur ein Erdrutsch

Geologie Den Beweis für ein gewaltiges Erdbeben hat Matthias Mader vor seiner Haustür gefunden. Kirchheim ist der Mittelpunkt eines großes Verwerfungssystems. Von Iris Häfner

Matthias Mader steht vor der „Beweiswand“ auf dem Würstlesberg. Direkt unter dem Straßenniveau rechts neben der Plane ist eine s
Matthias Mader steht vor der „Beweiswand“ auf dem Würstlesberg. Direkt unter dem Straßenniveau rechts neben der Plane ist eine schwarze Schicht zu sehen. Klar zu erkennen ist der Abbruch dieser Platte (rote Kästen) von mehreren Metern, die eine Naturkatastrophe verursacht hat.Foto: Markus Brändli

Alles ist in Bewegung, auch scheinbar Statisches wie der Grund und Boden, auf dem man steht. In der Regel verändert sich die Landschaft schleichend langsam und über Jahrhunderte, oder gar Jahrtausende unsichtbar fürs Auge - und manchmal rasend schnell, was dann unweigerlich in eine Katastrophe mündet. Solch einem Super-GAU ist der Geologe Dr. Matthias Mader schon lange auf der Spur. Nun hat er direkt vor seiner Haustür den Beweis dafür quasi auf dem Tablett serviert bekommen.

Weil auf dem benachbarten Hanggrundstück, westlich der Notzinger Steige in Kirchheim gelegen, eine Tiefgarage entsteht, musste der Bagger mehrere Meter tief Bodenmaterial wegschaufeln - ein Dorado für den Geologen, denn die Baustelle brachte eine Verwerfung an den Tag. Dabei handelt es sich um eine Störung beziehungsweise Bruchstelle im Erdreich. Im braunen Lehmgestein fielen scheinbar wirr im Erdreich verteilte blau-schwarze Schieferplatten ins Auge. Auf Straßenniveau ist eine etwa 30 Zentimeter tiefe Referenzschicht zu sehen, die plötzlich abbricht und dann mehrere Meter tiefer ans Licht kommt. „Das ist Lias epsilon, ein Ölschiefer. Exakt diese Schicht ist oben auf der anderen Talseite der Notzinger Steige auszumachen, etwa 10 bis 20 Meter höher - oberhalb der Wangerhalde beziehungsweise dem Haarlet“, so der Kirchheimer.

Im Lehm gibt es wasserführende Spalten. Mineralwasser wird in ihnen hochgedrückt und zersetzt das Gestein. „Aus blauem Lehm wird gelber, und der wird fester. Wir haben einmal Ton und einmal Lehm“, erklärt er. Eine solche Ader verläuft auch bei Maders unterem Keller und führt in einen Brunnen. „Diese engständigen Spalten sind entlang der großen Spalte relativ frisch. Das heißt: Sie sind über mehrere Hunderttausend oder Millionen Jahre immer wieder aufgerissen und sind wirksam. Das ist eine ewige Verwerfung und geht immer weiter“, ist Matthias Mader überzeugt. Deshalb gab es auch immer wieder Erdbeben im süddeutschen Raum. „Seit 1911 ist deshalb am Max-Eyth-Haus in Kirchheim ein Eck weg. Das Epizentrum war damals der Untersee des Bodensees“, so der Experte. Auch 1973 und 1978 haben die Häuser einige Sekunden wegen Erdstößen vibriert. Die größten Schäden musste Albstadt verzeichnen. Knapp 28 Sekunden bebte am 3. September 1978 um 6.08 Uhr dort die Erde mit einer Stärke von 7 bis 8, dessen Ursache der Hohenzollern Graben war.

Das war kein Vergleich zu den dramatischen Ereignissen vor Jahrmillionen. „Zur Zeit des Lias‘ ist die Welt auseinandergebrochen, und wir sind mittendrin in diesem Bruchspalt, dieser Hauptverwerfung. Das hier in der Baugrube waren nur kleine Nachwirkungen“, erklärt Matthias Mader und spricht vom Kirchheimer Loch. Tiefster Punkt dieses riesigen Verwerfungssystems, das vom norwegischen Oslo bis zum Ätna auf Sizilien verläuft, ist seiner Ansicht nach die Lindach an der Kirchheimer Herdfeldbrücke. Die Teckstadt liegt in der Mitte des Germanischen Beckens. „Der Marmor von Carrara liegt auch auf dieser Spalte“, erläutert er.

Teckgraben liegt im Zentrum

Zu diesem Verwerfungssystem in Nord-Süd-Richtung kommt auch noch eines in Ost-West-Richtung. „Diese alte tektonische Kluftrichtung läuft vom Körschtal in Richtung Weilheim. Die gibt es seit Millionen Jahren“, sagt der Geologe. Außerdem gibt es auch einen Großgraben zwischen der Mosel und Böhmen, in dessen Mitte sich wiederum Kirchheim befindet. „Der Teckgraben liegt genau im Zentrum dieser Verwerfungssysteme. Damals, vor Jahrmillionen, hätte es nach Ansicht von Matthias Mader nicht viel gebraucht und die Platten wären an dieser Stelle auseinandergebrochen - und der Atlantik wäre dann hier entstanden.

Diese Verwerfung veranlasste einstmals auch Konrad Widerholt zum Bau seiner Wasserwerke, an die heute die aufgestellten Steine am Schweinemarkt erinnern. „Hier drückt das Wasser hoch. Der Stadtgraben war nicht zufällig an dieser Stelle. Beim Bau der Tiefgarage mussten deshalb über 50 Liter pro Sekunde abgepumpt werden. Weil es aggressives Mineralwasser ist und nicht mehr abgepumpt wird, kamen die Schäden an der Tiefgarage nicht von ungefähr. Am Krautmarkt ist es ähnlich. Wenn man wasserführende Spalten zubetoniert, muss man halt nach 25 Jahren teuer sanieren“, sagt Matthias Mader.

Eine weitere Verwerfung sieht jeder Laie im Gelände. „Der Schafhofbuckel ist niedriger als das Hohenreisach“, so der Geologe.

 

Info Matthias Mader ist in Kirchheim kein Unbekannter und Autor mehrerer Bücher und Schriften, beispielsweise „Neue Erkenntnisse zur Geologie Süddeutschlands“. An der Volkshochschule ist er seit Jahren Referent und bietet Kurse für Jung und Alt an, etwa „Abenteuer Geologie“ oder „Schwermineralien des Schwarzwalds“ und „Klima und Umwelt“.

Überraschungspaket Tunnelaushub

Matthias Mader überraschten die Schwierigkeiten nicht, die beim Bau des ICE-Tunnels bei Kirchheim wegen des Minerals Pyrit - auch Katzengold genannt - aufgetreten sind. Der Anteil war laut Aussage der Bahn unerwartet hoch, weshalb nach geeigneten Deponien gesucht werden musste. „Das muss man wissen. In Verbindung mit Mineralwasser ist im Opalinuston automatisch Pyrit drin“, sagt er. Das entsteht aus Fossilien, sprich Lebewesen. Der Boden enthält Eisen wegen des Saurierbluts, Schwefel wegen ihres Eiweißes. „Das ist alles noch in der Schicht drin, und bei Verfestigung bildet sich Pyrit. Das Mineralwasser entsteht aus der Zersetzung von Pyrit, wobei die Huminsäure der Vegetation eine wesentliche Rolle spielt. Außerdem nimmt das Gestein die Wurzelsäure von Pflanzen auf, und das, was dann entsteht, ist schweflige Säure - und die greift wiederum den Kalk an und es entsteht Gips. Fossilien werden also in Gips umgewandelt, wie an der Plochinger Steige zu sehen ist“, erläutert er.

Wenn Kohlensäure im Grundwasser gelöst wird, wird neben Gips auch Eisen frei. „Das Ergebnis ist Mineralwasser, das überhaupt nicht schädlich ist“, sagt Matthias Mader. „Was im Tunnelaushub an Schwermetallen enthalten ist, wissen die Götter. Wenn man das Material weiterverwendet, zum Beispiel in der Keramik oder im Deichbau, muss man jedoch in jedem Fall darauf achten, dass nichts davon ins Grundwasser kommt“, erklärt der Geologe. ih