Kirchheim

Misteln saugen die Bäume aus

Natur Die grünen Zweige sind ein beliebter Weihnachtsschmuck. Doch die Pflanze hat es in sich. Befällt der Schmarotzer einen Baum, macht er ihm langsam den Garaus. Von Daniela Haußmann

Stefan Würtele und andere Experten sehen die heimische Kulturlandschaft in Gefahr. Die Mistel hat sich stark ausgebreitet. In Li
Stefan Würtele und andere Experten sehen die heimische Kulturlandschaft in Gefahr. Die Mistel hat sich stark ausgebreitet. In Lindorf mussten schon Bäume gefällt werden. Foto: Daniela Haußmann
Stefan Würtele und andere Experten sehen die heimische Kulturlandschaft in Gefahr. Die Mistel hat sich stark ausgebreitet. In Li
Foto: Daniela Haußmann

Viscum album ist auf dem Vormarsch. Die Rede ist von der Weißbeerigen Mistel, die auch Laubholzmistel genannt wird. Sie sorgt bei so manchem Streuobstwiesenbesitzer für Kopfzerbrechen. Früher tauchte das immergrüne Gewächs nur selten in der hiesigen Kulturlandschaft auf. „Vielleicht glauben viele deshalb, dass die Laubholzmistel unter einem besonderen Schutz steht“, mutmaßt Stefan Würtele, Agraringenieur und Vertreter des Obst- und Gartenbauvereins (OGV) Lindorf. „Dabei breitet sich die Pflanze vor allem aus, weil sie durch die rückläufige Bewirtschaftung der Streuobstbestände nicht mehr regelmäßig mit dem Baumschnitt entfernt wird.“

Der Lindorfer Ortsvorsteher nimmt seit geraumer Zeit wahr, dass rings um Kirchheim mehr und mehr Bäume von den kugelig wachsenden Pflanzen befallen sind. „Mit Saugwurzeln entziehen sie ihrem Wirt Wasser und Nährstoffe - Fotosynthese betreiben sie selbst, weshalb sie auch als Halbschmarotzer gelten“, erklärt Würtele. Bis sie zum ersten Mal blühen, ziehen fünf bis sieben Jahre ins Land, wie Jens Häußler von der Obst- und Gartenbauberatung des Landratsamtes Esslingen weiß.

Beeren als Nahrung für Vögel

Die Beeren der Mistel dienen mindestens 27 Vogelarten als Nahrung. „Die Tiere nehmen die Beeren auf, scheiden die unverdaulichen Samen mit dem Kot aus und ermöglichen so eine weiträumige Verbreitung“, erklärt Dr. Roland Bauer von der Unteren Naturschutzbehörde des Landratsamtes. Etwa ein Jahr verstreicht, bis die Mistel im Verlauf ihres Wachstums an die Leitungsbahnen der Gehölze andockt. Sie kann dem Biologen zufolge auch Sprossen bilden und sich innerhalb des Wirtes vermehren. „Bleiben Pflegemaßnahmen aus, wird der Befall stärker, und die Mistel tötet ihren Wirt langfristig ab“, erzählt Stefan Würtele.

Das verwundert nicht, wenn man bedenkt, dass die Mistel einen deutlich größeren Mineralstoffgehalt aufweist als der Wirt. Untersuchungen haben gezeigt, dass beispielsweise der Kaliumanteil in der Mistel sehr hoch ausfällt. Mit zunehmender Größe benötigt die Mistel natürlich mehr Wasser, Mineral- und Nährstoffe. So geht das betroffene Gehölz langsam zugrunde.

Um die anderen Pflanzen vor dem Schädling zu schützen, mussten laut Stefan Würtele auf den Wiesen rings um Lindorf schon Bäume gefällt werden. „Die Tatsache, dass heute Unwetter mit kurzen, aber starken Regenfällen häufig vorkommen, begünstigt den Vormarsch der Mistel“, sagt Würtele. Anders als nach dem früher üblichen tagelangen Regen steht den Bäumen damit ein geringerer Wasservorrat zur Verfügung. „Die Folge: Sommerhitze und Trockenstress schwächen den Wirt und unterstützen die Ausbreitung der Mistel“, so der Lindorfer.

Ganz wehrlos sind die Weichholzarten aber laut Roland Bauer nicht. „Abhängig von Vitalität, Alter und genetischen Voraussetzungen kommt es zu einer mehr oder weniger starken Abwehrreaktion“, weiß der Biologe. Wobei Rudolf Thaler vom OGV Bissingen feststellt, dass immer öfter junge Bäume unter der Mistel leiden. „Am Bissinger Hörnle sind einige Jubiläumsbäume der Vereine betroffen. Die Linden sind gerade mal 20 Jahre alt“, erzählt er. „Es trifft aber auch deutlich jüngere Gehölze.“ Grund sei der Klimawandel. Dass der Schädling Baumarten wie Kirsche, Pflaume, Zwetschge oder Birne verschont, liegt für Roland Bauer in natürlichen Abwehrstrategien: „Kommt es zum Beispiel beim Birnbaum zum Mistelbefall, stirbt bei ihm das Gewebe im Umkreis der Keimungsstelle und damit auch der Halbschmarotzer ab.“

Zu heimischen Misteln greifen

Wer jetzt in der Vorweihnachtszeit noch auf der Suche nach einem Mistelzweig ist, kann aus Sicht von Würtele einen Beitrag zum Erhalt der heimischen Kulturlandschaft leisten, indem er auf Pflanzen zurückgreift, die direkt vor der Haustüre wachsen. „Misteln stehen nicht unter Naturschutz und können deshalb das ganze Jahr geschnitten werden“, erklärt Roland Bauer. „Viele der Pflanzen auf dem Markt stammen aus Frankreich.“ Anstatt auf die Importware zurückzugreifen, sei es sinnvoller, heimische Misteln zu kaufen. Darüber hinaus können Streuobstwiesenbesitzer den beliebten Weihnachtsschmuck auch an Verwandte, Freunde und Interessenten verschenken.

Misteln schneiden, aber wie?

Die Chance einen von Misteln befallenen Baum zu retten, ist dann am größten, wenn die Pflanze so früh wie möglich entfernt wird. Das ist idealerweise dann der Fall, wenn die ersten beiden Blätter des Schädlings schon erkennbar sind. Das setzt aber auch eine regelmäßige Pflege voraus. In diesem Stadium hat der Halbschmarotzer noch keine Leitbahnen erreicht. Soll die Mistel wirklich nachhaltig entfernt werden, muss je nach Größe mindestens 20 bis 50 Zentimeter in das gesunde Holz geschnitten werden.

Grundsätzlich gilt: Nur wenn nach dem Schnitt keine grünen Punkte, sogenannte Senker, mehr sichtbar sind, ist der Schmarotzer entfernt. An den äußeren Ast-Partien ist das möglich, ohne große Schäden zu hinterlassen. Bei Leitästen oder Stammverlängerungen ist je nach Ausmaß des Befalls eine Rodung unumgänglich. dh