Siegfried Nägele ist stinksauer. Von der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet, hat der Bundestag im März eine Baurechtsänderung beschlossen. Sie sorgt bei Bauern und Jägern im Landkreis für Empörung. Jetzt schauen Landwirte noch auf freie Flächen, voller Natur und Tiere. Doch dieser Anblick könnte bald durch ganze Wohnkomplexe gestört werden.
Der neue Paragraf 13b des Baugesetzbuches gestattet Gemeinden, am Rand von Ortsteilen, Wohngebiete mit einer Grundfläche von einem Hektar im sogenannten vereinfachten Verfahren auszuweisen. Ob und wie sich das Bauvorhaben auf die Tier- und Pflanzenwelt in der näheren Umgebung auswirkt, braucht demnach nicht geprüft zu werden. Ausgleichsmaßnahmen für Eingriffe in Natur und Landschaft, wie Ersatzpflanzungen oder Renaturierungen von Flächen, entfallen ebenfalls.
„Hinzu kommt, dass der Bebauungsplan aufgestellt werden kann, bevor der Flächennutzungsplan geändert oder ergänzt worden ist“, sagt Siegfried Nägele. Für den Vorsitzenden des Kreisbauernverbandes ein Unding. Seit Jahren stimmen Politik und Kommunen das hohe Lied auf die Innenentwicklung an. „Stets war die Rede davon, dass das Flächenpotenzial zugunsten des Flächenschutzes genutzt werden soll“, berichtet Siegfried Nägele.
Er kritisiert, dass „mit der Gesetzesänderung der Flächenfraß und der Verlust wertvoller Ackerböden weiter angeheizt wird.“ Täglich werden laut einer Studie des Bundesumweltamts aus dem Jahr 2015 in Deutschland rund 61 Hektar als Siedlungs- und Verkehrsfläche neu ausgewiesen. Bis zum Jahr 2020 will die Bundesregierung diesen Verbrauch auf 30 Hektar reduzieren. Ein Ziel, das für Siegfried Nägele mit der aktuellen Entwicklung in weite Ferne rückt.
Mit dem neuen Gesetz will der Bundesgesetzgeber die Schaffung von Wohnraum unterstützen. Deshalb hat das Land, laut einer Sprecherin des Ministerin für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau des Landes Baden-Württemberg, diese befristete Regelung mitgetragen. Sie weist zudem darauf hin, dass im vereinfachten Verfahren jeweils nur Flächen von weniger als einem Hektar genehmigt werden dürfen. „Diese Obergrenze bezieht sich auf bebaute Flächen. Also sind Häuser, Wege, Straßen und Gärten ausgenommen“, moniert Siegfried Nägele.
Für Landesumweltminister Franz Untersteller „widerspricht die Änderung elementaren Grundsätzen des Natur- und Bodenschutzes“. Der aktuelle Gesetzesentwurf führe zudem dazu, dass Städte und Gemeinden vermehrt Bauflächen auf Vorrat ausweisen könnten. Die zeitliche Befristung der Regelung und die Größenbegrenzung von Flächen werden aus Sicht des Umweltministeriums wohl nicht verhindern, dass jetzt rasch vollendete Tatsachen auf Dauer geschaffen werden.
So könnten zum Beispiel in der Praxis Neubaugebiete an verschiedenen Ortsrändern ausgewiesen oder aneinandergereiht werden. Im Mai trat die Novelle in Kraft. Bis dato sind Siegfried Nägele mindestens zwei Landwirte im Kreis bekannt, die von einer Wohngebietsausweisung im vereinfachten Verfahren betroffen sind.
Regional und lokal produzierte Lebensmittel sind bei vielen heiß begehrt. Doch wenn auf der grünen Wiese gebaut und hochwertige Ackerböden vernichtet werden, gerät die heimische Landwirtschaft zunehmend unter Druck. „Soll Nahrung - mit allen negativen Folgen für den Klimaschutz und die gläserne Produktion - quer durch Europa zu uns transportiert werden?“, fragt Nägele.
Für Bernd Budde von der Jägervereinigung Kirchheim treibt die neue Regelung die Zerschneidung der Landschaft weiter voran. Die Folge: Der Lebensraum der Wildtiere schrumpft und die vorhandenen Arten müssen mit weniger Fläche auskommen. Eine Wanderung von einem Lebensraum zum anderen sei immer schwieriger möglich. Wildschäden und -unfälle nehmen dadurch, laut dem Kreisjägermeister, zu. Seit Jahren nutzen und pflegen Jäger Randstreifen von Äckern, um mit Blumenmischungen dem Insektensterben entgegenzuwirken und Grünbrücken für seltene Arten wie Rebhuhn oder Fasan anzulegen. „Das sind wertvolle Biotope“, so Budde. „Doch das scheint für den Gesetzgeber keine Rolle zu spielen.“ Ebenso wenig wie die Tatsache, dass eine wachsende Bodenversiegelung das Hochwasserrisiko steigert und auch das Verkehrsaufkommen steigert, wie Siegfried Nägele bemerkt.