Kirchheim

Im Analog geblättert

Wer wegen Corona zuhause bleiben muss, kann immer noch im Kopf auf Reisen gehen. Im Bücherregal finden sich verstaubte Klassiker, die dabei ganz phantastische Hilfe leisten können: Auf geht‘s in die analoge Virtualität!

Von Gulliver weiß man, dass er in Liliput kleinen menschenähnlichen Wesen begegnet. Auf seiner zweiten Reise erlebt er die umgekehrte Dimension und trifft auf Riesen. Noch phantastischer wird es im dritten Anlauf: Da landet er unter anderem auf einer fliegenden Insel. Die vierte Reise dagegen lässt sich im erzwungenen Heimaturlaub gut nachvollziehen - vorausgesetzt, man hat ein Pferd im Stall: Jonathan Swift lässt Gulliver nämlich ein Land entdecken, in dem Pferde die herrschenden vernunftbegabten Wesen sind.

Auf andere phantastische Reisen führt Jules Verne: Bei ihm geht es in 80 Tagen um die Welt (was in Corona-Zeiten wie Science fiction anmutet), 20 000 Meilen unter das Meer oder zum Mittelpunkt der Erde. Das sind Reiseziele, die selbst in der Nach-Corona-Zeit kein Anbieter in seinem Katalog haben wird!

Wem das alles dann doch eine Nummer zu phantastisch ist, der kann sich ja einen anderen verstaubten Klassiker suchen: den früher so beliebten wie gefürchteten Dia-Abend. Er führt in die fernen Länder, die man einst selbst bereist hat - und in längst vergangene Zeiten, als die Figur noch sportlicher war und als man dem Friseur tatsächlich noch etwas zum Abschneiden mitbringen konnte.

Schon die Vorbereitung wäre die reinste Beschäftigungstherapie: Man könnte die letzten drei bis zehn Dia­filme endlich einmal rahmen, wenn sich denn die Schachtel mit den Blankorähmchen noch irgendwo finden ließe. Macht aber nichts, die vorhandenen zigtausend gerahmten Dias reichen fürs erste vollkommen aus. Wo hat sich eigentlich der Projektor in den vergangenen 20 Jahren herumgetrieben?

Wer sich ernsthaft auf die Suche begibt, wird es rasch sein lassen und doch lieber seine Koffer packen, um nach Liliput oder zum Mittelpunkt der Erde aufzubrechen. Wahrscheinlich trifft er dort auch den alten, komplett eingestaubten Diaprojektor an. Gekränkt wegen der permanenten Missachtung, hat sich das Gerät schon längst in die eigene Phantasiewelt zurückgezogen - und wird von keinem vermisst. Merke: Es gibt noch weitaus schlimmere Schicksale, als nur auf eine geplante Urlaubsreise verzichten zu müssen.  Andreas Volz