Kirchheim

Rettungsdienst am Limit

Strömungsretter leisten unter extremen Bedingungen Hilfe bei Hochwasser und Badeunfällen

Im Landkreis Esslingen gibt es 18 Spezialkräfte, die wertvolle Hilfe leisten, wenn Menschen in Flüssen in lebensbedrohliche Situationen geraten sind.

Die Strömungsretter der DLRG-Wasserrettung Bezirk Esslingen proben regelmäßig am Neckar den Ernstfall.Foto: Daniela Haußmann
Die Strömungsretter der DLRG-Wasserrettung Bezirk Esslingen proben regelmäßig am Neckar den Ernstfall.Foto: Daniela Haußmann

Region. Wenn sich kleine Bäche zu reißenden Strömen entwickeln und Unwetter ganze Ortschaften in ein Hochwassergebiet verwandeln, stürzen sich Bastian Sturm und die anderen 17 Strömungsretter in die tosenden Fluten. Zwischen Bergen von Geröll, Schlamm und Autowracks, die von den Wassermassen fortgespült werden, versuchen sie Eingeschlossenen, Verletzten oder Bewusstlosen das Leben zu retten und Tote zu bergen. Aber auch bei Badeunfällen, die sich an Flüssen wie dem Neckar ereignen, kommen die Spezialkräfte der DLRG-Wasserrettung Bezirk Esslingen zum Einsatz.

In einem Neoprenanzug, der vor Unterkühlung und kleineren Verletzungen schützt, mit Sicherheitsschuhen an den Füßen, einem speziellen Schutzhelm, der Schädel, Schläfen und Ohren schützt und mit einer Wildwasserweste, deren dickes Polster den Zusammenprall mit Gegenständen dämpft, gehen die Schwimmer ins Wasser. „Ein Wurfsack, der rund 35 Meter Leine enthält, die zur Eigensicherung oder zur Personenrettung eingesetzt werden kann, zählt ebenso zur persönlichen Ausrüstung, wie ein Erste-Hilfe-Pack für Sofortmaßnahmen am Unfallort, eine Trillerpfeife für die Kommunikation in lauten, tosenden Gewässern und ein Knicklicht für die Nachtsuche“, berichtet Bastian Sturm.

In österreichischen Gebirgsbächen haben die 18 Strömungsretter das Schwimmen in Grenzbereichen trainiert. „Bei Flutkatastrophen und Hochwasserereignissen haben wir es leicht mit Fließgeschwindigkeiten von 50 Stundenkilometern zu tun“, berichtet Bastian Sturm. „Zum Vergleich: Das Wasser im Neckar strömt mit einer Geschwindigkeit von 1,5 Metern pro Sekunde durch das Flussbett. Das entspricht 5,4 Stundenkilometern.“ Schon diese Strömung genügt dem DLRG-Vorstandsmitglied zufolge, um selbst geübte Schwimmer in Bedrängnis und Not zu bringen. 2015 sind nach DLRG-Angaben bundesweit 488 Menschen beim Baden ertrunken. 165 davon in Flüssen. „Die Gefahr wird viel zu oft unter- und das eigene Können überschätzt“, so Sturm, der zusammen mit seinen Kameraden immer wieder Personen aus dem Neckar holt.

In solchen Fällen gehen die Strömungsretter, anders als Rettungsschwimmer, nie alleine ins Wasser. Sie fassen sich unter die Schultern und waten an seichten Stellen vorsichtig durchs trübe Nass, um sich gegenseitig zu sichern. Taucht einer von ihnen plötzlich in eine Untiefe ab oder rutscht auf dem glitschigen Untergrund aus, können ihn die Kameraden Dank dieser Sicherungsmethode rechtzeitig abfangen. „So suchen die Strömungsretter den Fluss nach Vermissten ab“, erklärt Bastian Sturm. „Befinden sich die Unfallopfer auf der anderen Uferseite oder werden sie von den Einsatzkräften dort an Land gebracht, wird mit einer Schleuder ein Seil über den Fluss geschossen.“ An ihm wird das Boot gesichert, mit dem weitere Strömungsretter von einer Uferseite zur anderen wechseln, um die Verletzten auf einer Trage an Bord zu nehmen. Die Seilsicherung verhindert, dass das Transportmittel beim Einsatz abtreibt.

Winden, Seilrollen, Seilklemmen und Karabinerhaken zählen zu den wichtigsten Rettungsgeräten der Spezialisten. „Ein gewisses Basiswissen über verschiedene Seil- und Abseiltechniken wird deshalb in der mehrjährigen, dreistufigen Ausbildung vermittelt“, erklärt Bastian Sturm. „Das ist wichtig, denn bei Hochwasser, Flutkatastrophen oder extrem starken Strömungen ist es sicherer ein Seil übers Wasser zu spannen, an dem der Patient in einer Korbtrage hängend transportiert wird.“

Verhindert die Wetterlage, dass der Ort des Geschehens mit einem Helikopter angeflogen wird oder macht die Strömung den Einsatz eines Bootes unmöglich, springen die Strömungsretter ins Wasser. Dass sie dabei mit einem Seil gesichert sind, ist nicht immer hilfreich. „Es kann sich verfangen oder die feste Verbindung zum Ufer zieht in Kombination mit der Strömung den Schwimmer nach unten“, erzählt Bastian Sturm. „Für diese Situationen gibt es an der Weste einen Panikverschluss, der die Sicherung löst.“ In diesen Fällen ist der Retter auf sich gestellt und muss sein ganzes Know-how aus den Bereichen Strömungslehre, Hochwasser-, Selbst- und Fremdrettung abrufen. „Das und körperliche Fitness sind nicht die einzigen Anforderungen, die die Spezialkräfte zu erfüllen haben“, sagt Sturm. „Viren, Bakterien, Chemikalien, ungeklärte Abwässer – die Strömungsretter müssen eine Reihe von Pflichtimpfungen, wie zum Beispiel gegen verschiedene Formen der Hepatitis, vorweisen.“ Vor dem Hintergrund des Klimawandels und der damit verbundenen Zunahme von Starkwetterereignissen gewinnen die 2008 im Landkreis ins Leben gerufenen Strömungsretter für den DLRG-Vertreter eine wachsende Bedeutung.

 

Erst am Sonntagnachmittag wurde ein 33-jähriger Tunesier tot aus dem Neckar bei Nürtingen geborgen. Der Mann ist offenbar eines natürlichen Todes gestorben. Im Notfall ist es wichtig, sofort die Rettungskräfte zu informieren, vor allem im Wasser zählt jede Minute. Denn bereits drei Minuten ohne Luft können tödlich enden.ntz/tb