Kirchheim

Schicksale stecken in wenigen Sätzen

Spendenaktion Die Stadt Kirchheim stellt das geplante Denkmal für zivile Opfer des Nationalsozialismus vor und bittet um Spenden. Zum Auftakt gibt es morgen einen Gottesdienst mit anschließendem Konzert. Von Andreas Volz

Mitglieder der Projektgruppe „Denkmal“ stellen die neue Broschüre vor.Foto: Carsten Riedl
Mitglieder der Projektgruppe „Denkmal“ stellen die neue Broschüre vor.Foto: Carsten Riedl

In Kirchheim sollen gedemütigte, diskriminierte, malträtierte, missbrauchte und ermordete Opfer des Nationalsozialismus symbolisch das zurückerhalten, was sie verloren haben: ihre Menschenwürde. Das ist die Idee, die hinter dem geplanten Denkmal für zivile Opfer der Jahre 1933 bis 1945 steckt. So steht es auch in der neuen Broschüre, die auf das Projekt aufmerksam macht.

Oberbürgermeisterin Angelika Matt-Heidecker erinnerte gestern beim Pressegespräch zum Auftakt der Denkmals-Spendenaktion an die alljährliche Gedenkfeier zum Volkstrauertag, auf dem Alten Friedhof, am Denkmal für die Gefallenen aus beiden Weltkriegen: „Aus dieser Feier an diesem Ort spricht unendliches Leid. Und trotzdem hat mir immer etwas gefehlt, denn auf die zivilen Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft konnte man bisher nur in Worten eingehen.“

Das soll jetzt anders werden. Das Denkmal für die zivilen Opfer, das dem Kriegerdenkmal genau gegenüberliegt - auf einer langen Achse, die quer durch den Friedhof verläuft -, soll noch in diesem Jahr verwirklicht werden: „Wenn wir den Volkstrauertag 2017 begehen, steht das neue Denkmal.“

Was es mit den zivilen Opfern oder überhaupt mit dem Nationalsozialismus in Kirchheim auf sich hat, schildert Fritz Heinzelmann, der Vorsitzende des Verschönerungsvereins: „In den 50er-Jahren hat es noch geheißen, in Kirchheim ist nichts passiert. Der Mörike hat halt mal Prügel bekommen.“ Mit Mörike ist in diesem Fall der Pfarrer Otto Mörike gemeint, der wegen seiner schriftlichen Äußerungen gegen den Nationalsozialismus im April 1938 in Kirchheim schwer misshandelt worden war.

Die Arbeiten von Brigitte Kneher über die Geschichte der Juden in Kirchheim oder über die Kirchheimer Zigeuner-Familie Reinhardt hätten dann erst deutlich gemacht, was auch in Kirchheim alles an Unrecht geschehen ist. In letzter Zeit seien noch die Nachforschungen des Stadtarchivs über Grafeneck hinzugekommen. Mindestens 30 Tragödien aus Kirchheim seien im Zusammenhang mit der „Euthanasie“ gesichert, wahrscheinlich aber dürften es um die 100 gewesen sein - in einer Stadt mit damals 13 000 Einwohnern.

Für Fritz Heinzelmann steht fest, dass auch in Kirchheim ganz fürchterliche Dinge geschehen sind - „in einer ganz normalen Provinzstadt, wo man zunächst nicht erwarten würde, dass der Nationalsozialismus da so gewütet hat“. Ebenso steht für ihn fest, dass sein Verein das neue Denkmal nicht nur durch Mitarbeit im Vorfeld unterstützen muss, sondern auch durch Spenden: „5 000 Euro sind schon beschlossen, weitere 5 000 Euro sind geplant.“

Alle Beteiligten, die gestern die Spendenaktion und den Prospekt vorstellten, waren sich einig, dass gerade die Einigkeit und die Gemeinsamkeit in der langen Vorplanung das Denkmal zu etwas ganz Besonderem macht. Monika Majer, die das Projekt künstlerisch umsetzt, berichtet von der gemeinsamen Arbeit: „Eine wesentliche Sitzung war die, in der wir auf die Ich-Botschaften gekommen sind. Da war mir klar, jetzt haben wir‘s, obwohl wir danach natürlich immer noch um einzelne Formulierungen gerungen haben.“

Diese Botschaften packen ganze Schicksale in einige wenige Sätze. Für Monika Majer sind es aber nicht nur konkrete Schicksale von Menschen, von Kirchheimern in den Jahren von 1933 bis 1945, sondern zugleich zeitlose Schicksale. Als Beispiel sei hier noch einmal Otto Mörike herausgegriffen, über den auf dem Denkmal zu lesen sein soll: „Ich bekannte mich als Kirchheimer Pfarrer offen gegen den ,Führer‘. Deswegen wurde ich von meinen Mitmenschen verspottet, bespuckt und ins Gefängnis geprügelt.“

Die Ich-Form sei besonders den jungen Menschen wichtig gewesen, die an der Ausarbeitung der Texte beteiligt waren, sei es über das Mehrgenerationenhaus Linde oder über das Jugendrotkreuz. Gerade darin liegt das Besondere am Mahnmal: dass da ganz viele unterschiedliche Kirchheimer unterschiedlichsten Alters zusammengearbeitet haben. „Wir sind da reingewachsen und zusammengewachsen“, bilanzieren Fritz Heinzelmann und Monika Majer.

Erst später hinzugezogen wurde die Werbeagentur „Herzblut und Hirnschmalz“, die die außergewöhnliche Broschüre entworfen hat. Sabine Muth erzählt von einem weiteren Grundsatz für die Arbeit: „Es soll die Möglichkeit bestehen, sich offen mit dem Thema auseinanderzusetzen - ohne erhobenen Zeigefinger und ohne Schuldgefühle zu vermitteln.“