Kirchheim

Schweigen im Walde

Gerichtsurteil Die Forstverwaltungen im Land suchen fieberhaft nach Lösungen im Streit mit dem Kartellamt. Vorbei ist die Zeit des Einheitsforstamts. Von Iris Häfner

Bislang waren die Revierförster für alle Belange wie beispielsweise die Holzernte auf allen Waldflächen verantwortlich.Foto: Jea
Symbolbild: Jean-Luc Jacques

Wiebke und Lothar sind zum Synonym für katastrophale Schäden in Deutschlands Wäldern geworden. In kurzer Zeit haben die Orkanstürme riesige Flächen abgeholzt, Bäume wie Streichhölzer geknickt. Kein Naturereignis, dafür aber einem Damoklesschwert gleich, hält das Kartellamt Forstverwaltungen und Waldbesitzer in Baden-Württemberg seit über einem Jahrzehnt in Atem. „Nach 15 Jahren Kartellverfahren brauchen wir endlich wieder festen Boden unter den Füßen“, fordert Roland Burger, Präsident des Waldbesitzerverbands. Dazu braucht es seiner Ansicht nach jedoch Mut zur Veränderung.

Derweil scheinen hinter verschlossenen Türen die Telefondrähte heiß zu laufen, von offizieller Seite ist zu dem Thema nahezu nichts zu erfahren. Das Forstamt des Landkreises Esslingen schweigt, Pressesprecher Peter Keck lässt sich zu kaum mehr als einem Satz hinreißen: Die Erfahrungen seiner Behörde bezüglich der Diskussion um die Krankenhausfusion haben ihm gezeigt, dass das Kartellamt jede Aussage des Landratsamts mit Argusaugen überwacht.

Stattdessen gibt es seitenweise Pressemitteilungen des Ministeriums für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg, eine davon hat auch Peter Keck weitergeleitet. Als Kernaussage wird darin Landwirtschaftsminister Peter Hauk - von 2002 bis 2005 Leiter des Forstamtes Adelsheim - zitiert: „Wir wollen und brauchen eine zukunftsfähige und tragfähige Lösung aus einem Guss für den Wald in Baden-Württemberg.“ Das schließt alle Besitzarten ein: Staats-, Kommunal- und Privatwald.

Grund für das heftige Rauschen im Blätterwald ist ein Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf zur gemeinsamen Rundholzvermarktung. Darin wurde dem Land untersagt, Holz für Betriebe mit einer Größe von über 100 Hektar Waldfläche zu verkaufen. Zudem ist dem Land untersagt, forstliche Tätigkeiten im Kommunal- und Privatwald, die über dieser Grenze liegen, anzubieten. Damit sind Tätigkeiten der Förster im Wald gemeint, wie beispielsweise die Markierung der schlagreifen Bäume und anschließend deren Verkauf, Sortierung und vieles mehr.

Damit lässt das Kartellamt - quasi in ausbeuterischer Mittelalter-Manier - völlig außer Acht, dass der Wald weit mehr ist, als ein rein an Profit orientiertes Unternehmen, das unermüdlich den nachwachsenden Rohstoff Holz auf den Markt wirft. Unbestritten ist heutzutage seine vielfältige Funktion: Der Wald ist Erholungsort für Menschen, Heimat unzähliger Tier- und Pflanzenarten und dank der Fotosynthese unersetzlicher CO2-Killer. Dem sollte mit dem vor kurzem novellierten Bundeswaldgesetz Rechnung getragen werden. Auch diesbezüglich müssen Land, Kreise und Kommunen zukunftsfähige Lösungen liefern.

Nicht hinter Plattitüden versteckt sich Lenningens Bürgermeister Michael Schlecht, Herr über 626 Hektar Wald. Zum Vergleich: Ohmden hat eine Gesamtfläche von 555 Hektar. „Das Einheitsforstamt verstößt offensichtlich gegen europäisches Kartellrecht und das bringt Schwierigkeiten für uns Kommunen mit sich. Auf uns kommen deutlich höhere Kosten bei der Waldbewirtschaftung zu“, erklärt er. Die kommunalen Spitzenverbände müssen deshalb Lösungen erarbeiten, die tragfähig sind. „Das wird spannend, und eins muss auch klar sein: Wir müssen uns deutlich intensiver mit dem Thema Wald befassen und diesbezüglich mehr Verantwortung übernehmen“, ist sich Michael Schlecht bewusst. Mit dem Revierförster steht die teilortreiche Gemeinde in engem Austausch. Der Fachmann übernimmt alle Dienstleistungen von der Auszeichnung des Holzes über die Ernte bis hin zu Verkauf, Naturschutz, Verkehrssicherheit, Waldwege, Erlebniseinrichtungen wie Waldlehrpfad und Naturpädagogik.

„Nur den wettbewerbsrechtlichen Aspekt für das Urteil heranzuziehen, wird dem Wald in seiner Gesamtfunktion nicht gerecht. Das pass nicht zu nachhaltiger Waldbewirtschaftung“, kritisiert der Bürgermeister die Entscheidung des Kartellamts, das auch Konsequenzen bei der Zertifizierung nach sich ziehen wird. „Das Einheitsforstamt für alle, das ich immer sehr sinnvoll gefunden habe, gibt es künftig nicht mehr. Die Frage wird sein: Wie sieht der Wald in 100 Jahren aus?“, so Michael Schlecht.

Kurze Chronologie der Kartell-Geschichte

Von 2001 bis 2008 beschäftigte sich das Bundeskartellamt mit der Holzvermarktung in Baden-Württemberg. Das Ergebnis war eine sogenannte „Verpflichtungszusage“, die zu einigen Änderungen im Holzverkauf führte.

Ab Herbst 2012 ermittelte das Bundeskartellamt erneut gegen BW in Sachen Holzverkauf.

Im Herbst 2014 wurde ein Kompromiss gefunden, der in eine erneute Verpflichtungszusage mündete. Diese wurde durch das Bundeskartellamt letztlich doch nicht akzeptiert.

Im Juli 2015 erging durch das Bundeskartellamt eine „Untersagungsverfügung“, gegen die das Land gerichtlich vorging.

Im März 2017 gab es den Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf, der die Haltung des Bundeskartellamts weitestgehend bestätigt.

Im April 2017 beschließt die Landesregierung, Rechtsmittel gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom März einzulegen. pm