Kirchheim

Scientology startet Offensive

Scientology Früher trat die Organisation meist verdeckt auf. Nun finden sich in Kirchheim Plakate, die für einen „Tag der offenen Tür“ werben. Von Peter Dietrich

Scientology wirbt in der Kirchheimer Innenstadt mit Plakaten.Foto: Peter Dietrich
Scientology wirbt in der Kirchheimer Innenstadt mit Plakaten.Foto: Peter Dietrich

Wir sind jetzt an der Hauptstraße, sichtbar, offen. Große Scheiben erlauben tiefe Einblicke“, so wirbt die seit Februar 2016 als Verein eingetragene „Scientology Gemeinde Teck“ auf ihrer Internetseite. Vor einigen Jahren ist sie dorthin, in die Kirchheimer Straße 28 in Jesingen, umgezogen. Heißt das, dass die nach anfänglichen Lockangeboten teils extrem hohen Kurspreise jetzt neben der Tür hängen, ähnlich wie beim Friseur? Das wäre in der Tat überraschend.

Von „Flucht nach vorne“ der Scientologen spricht Dr. Helga Lerchenmüller von der Aktion Bildungsinformation (ABI) in Stuttgart. „Nachdem sie entlarvt sind, bleibt ihnen auch gar nichts anderes übrig. Früher traten sie unter dem Namen „Kecht & Partner“ auf.“ Manchmal hat die Organisation auch den Begriff „Dianetik“ verwendet. Der Verfassungsschutz verweist zum Thema „Tarnung“ zudem auf Unterorganisationen wie die „Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte“ (KVPM) in Stuttgart und in Karlsruhe, auf „Sag nein zu Drogen - Sag ja zum Leben“ und auf „Jugend-für-Menschenrechte“.

„Scientology war in Kirchheim seit jeher aktiv“, sagt Helga Lerchenmüller. „In den letzten Monaten war es etwas ruhiger. Die Eheleute Kecht gingen nach Stuttgart, die jetzige Chefin ist Mariana Hasinger.“ Auch in Stuttgart sei es ruhig, es gebe aber Infostände in der Königstraße und am Milaneo. „Die meisten Leute machen einen Bogen.“ Aber, so warnt Helga Lerchenmüller: „Die Information in der Bevölkerung war schon mal besser.“ Es gebe wieder mehr Leute, die nicht wüssten, was hinter der Organisation stecke. Besonders gefährdet seien Migranten: „Die wissen nicht, auf was sie sich da einlassen.“

Diese Einschätzung deckt sich mit den Erkenntnissen des Landesamts für Verfassungsschutz, nachzulesen im Verfassungsschutzbericht von 2016. Das „Dianetik“-Buch werde auch auf Arabisch angeboten. „Den Verantwortlichen dürfte dabei klar sein, dass der umworbene Personenkreis meist nur wenig Geld zur Verfügung hat.“ Anwerbungen seien aber gut für die Statistik, zumindest vorübergehend. „Zudem könnten sie fallweise die Arbeitskraft der Betreffenden ausbeuten.“ Laut Verfassungsschutz habe die Scientology-Organisation „eine hohe finanzielle Schlagkraft, ist hierarchisch strukturiert, wird quasi militärisch geführt und verfügt über ein weltweites Netzwerk unterschiedlicher Niederlassungen. Sie ähnelt einem Strukturvertrieb, bei dem Lizenzen vergeben, Lizenzgebühren abgeführt und bei Erfolg Provisionen gezahlt werden“.

Was die Statistik angeht, sieht der Verfassungsschutz die Organisation in einem Abwärtstrend. Seit Beginn der Beobachtung 1997 habe sie in Bund und Ländern jeweils rund ein Drittel ihrer Mitglieder verloren. Trotzdem könne sie in Baden-Württemberg bei ihren Anhängern immer noch erhebliche Finanzmittel eintreiben. In Baden-Württemberg gebe es noch etwa 800 Scientologen, mit Tendenz zur Überalterung: „Im Jahr 2016 waren knapp zwei Drittel der SO-Mitglieder im Land über 50 Jahre alt, aber nur rund 14 Prozent jünger als 30 Jahre.“ Neue Mitglieder, sagt auch Helga Lerchenmüller, kämen fast nur durch eigene Kinder, persönliche Beziehungen und wirtschaftliche Kontakte hinzu.

Die Diskrepanz zwischen Außendarstellung und dem Geschehen „hinter den Kulissen“ ist auch dem CDU-Landtagsabgeordneten Karl Zimmermann bekannt. Er beobachtet die Organisation schon lange. Er spricht von „vorgespiegelter Expansion“ und „nach außen heiler Welt“. Zu den wirtschaftlichen Aktivitäten des Kirchheimer Vereins sagt er: „Die sind auf dem Schirm des Finanzamts.“

Oberbürgermeisterin Angelika Matt-Heidecker kann den Werbeplakaten etwas Positives abgewinnen: „Es ist mir lieber, wenn die mit offenen Karten spielen.“ Das sei besser, als unter anderen Namen angebliche Hilfen für Schüler oder Drogenabhängige anzubieten. „Es ist besser, wenn die Scientology draufschreiben.“ Die Stadt habe ihr Auge drauf und stehe in Kontakt mit dem Verfassungsschutz. Solange eine Organisation nicht verboten sei, habe die Stadt keine rechtliche Handhabe, eine beantragte Plakatierung nicht zu genehmigen. „Das ist wie bei politischen Parteien, die NPD beispielsweise darf ja ebenfalls plakatieren“, so die Rathauschefin. Bei Informationsständen sei die Rechtslage ähnlich, dort gebe es aber Einschränkungen, so sei das Bedrängen von Passanten untersagt. Die Erlaubnis sei die Folge einer freiheitlichen Gesellschaft: „Unsere Freiheit muss sich das leisten können“, sagt Angelika Matt-Heidecker.

Im Juli 2017, so ein Sprecher des Landesamts für Verfassungsschutz, habe auch bei der „Mission“ in Ulm ein „Tag der offenen Tür“ stattgefunden, es seien „nahezu keine Besucher“ gekommen, bei einem erneuten Versuch einige Wochen später „nicht einmal eine Hand voll“. Was aber, wenn Scientology in Stuttgart in der Heilbronner Straße tatsächlich eine neue Repräsentanz eröffnen sollte? Dann, so der Verfassungsschutz in seinem Bericht von 2016, „dürften wegen überzogener Erwartungen an deren Erfolg Enttäuschungen unter den Mitgliedern programmiert sein. Die sachliche öffentliche Aufklärung zeigt Erfolge und hat den Expansionsbestrebungen bisher einen Riegel vorgeschoben. In Berlin und Hamburg, wo Scientology bereits ‚Ideale Orgs‘ eröffnet hat, ist sie mit ihren ambitionierten Zielen bislang gescheitert. Insofern könnte die Eröffnung eines neuen Zentrums in Stuttgart letztlich Scientology in Baden-Württemberg weiter schwächen.“

(K)ein Ende des Versteckspiels

Der Verfassungsschutz weist auf den „Sabine Hinz Verlag“ mit Sitz in Kirchheim hin. Er bewerbe neben Scientology-Publikationen „eine ‚Kent-Depesche‘, die teilweise unterschwellig scientologische Positionen und unterschiedliche Verschwörungstheorien vertritt“. Die Stuttgarter Aktion Bildungsinformation sieht diesen Verlag mit seinem sehr gemischten Angebot und sehr gemischten Themen von Aids über Darmreinigung bis Zahnpasta als „Bindeglied zur Esoterikszene“.

Die Martin Kolb Akademie ist eine private Management- und Trainingsakademie mit Sitz in Nürtingen. Sie wurde 1989 gegründet, war früher in Kirchheim und Dettingen zu finden und wirbt auf ihrer Internetseite mit dem „Hubbard Management System“. Dass sich hinter dem Namen „Hubbard“ der Scientology-Gründer verbirgt, muss ein Interessent jedoch zuerst einmal wissen, um den Hintergrund der Kurse richtig einordnen zu können.

Der CDU-Landtagsabgeordnete Karl Zimmermann weist darauf hin, manchmal helfe auch der Blick aufs Autokennzeichen: Mancher hoher Scientologe habe ein „OT“ drin. „Das steht für ‚operierender Thetan‘, ein Status in der Organisation.“ Aber Vorsicht, das „OT“ kann auch Zufall sein!pd