Kirchheim

Selbst schuld!

Portrait MitarbeiterIrene Strifler
Portrait: Irene Strifler

Den Pflegekräften geht die Kraft aus. Sie berichten von entwürdigenden Minutenzeiträumen für häusliche Pflege, so kurz, dass sie hoffen müssen, ja nicht vom Patienten angesprochen zu werden. Sie erzählen, wie Kollegen und Arbeitgeber sie über schlechtes Gewissen unter Druck setzen nach dem Motto „Sie können uns doch nicht im Stich lassen“. Sie verweisen auf Überstunden im dreistelligen Bereich und schlechte Bezahlung.

Selbst schuld? Zum Teil vielleicht. Jemand, der sich dem Dienst am Menschen verpflichtet fühlt, ist meist kein Revoluzzer, kein Kämpfer für die eigene Person. Deshalb hat die Pflege keine echte Lobby. Zudem hat, wer Schicht arbeitet bis zum Anschlag, einfach nicht die Kraft, seine raren freien Abende bei endlosen Polit-Diskussionen zu fristen.

Schuld an der Misere sind wir aber alle. Alte und Kranke sind in dieser Gesellschaft, die dem Jugendwahn verfallen ist, wenig wert. Zwar wollen wir alle 90 werden, aber übers Alter reden wir weit weniger als über Sport, Urlaub und Aktienkurse. Alt sein ist nicht sexy. Wer Alte pflegt, ihre Windeln wechselt, ihre Wunden versorgt und ihre Beine wickelt, genießt entsprechend wenig Anerkennung.

Das ist kurzsichtig und dumm angesichts der Alterspyramide. Die bevölkerungsstarken Baby-Boomer haben das Alter nämlich jetzt schon vor Augen, der Pflegebedarf wächst und wächst. Von menschenwürdiger Pflege entfernen wir uns gleichzeitig immer weiter. Allerhöchste Zeit also, den Pflegekräften den Respekt zu zollen, der ihnen zusteht, sie mit angemessenen Kompetenzen auszustatten und dem Beruf Wertschätzung entgegenzubringen. Das ist eine Frage der Einstellung. Geld ist beileibe nicht alles, dennoch fängt es damit an. Pflege muss uns mehr wert sein.

Sonst schmoren künftige Alte noch länger in uringesättigten Windeln, liegen sich wund, erfahren gar keine menschliche Zuwendung mehr. Leidtragender ist nicht irgendwer, Leidtragender ist jeder von uns. Selbst schuld!