Lokale Kultur

Überschäumend und doch erhaben

Geistliches „Cross-over-Konzert“ mit drei Ensembles und Solisten in der Kirchheimer Martinskirche

Generations- und genreübergreifend: In der Kirchheimer Martinskirche traten der Esslinger Liederkranz, der Esslinger Hochschulch
Generations- und genreübergreifend: In der Kirchheimer Martinskirche traten der Esslinger Liederkranz, der Esslinger Hochschulchor, das internationale Jugendorchester „Die Telemänner“ und Gastsolisten gemeinsam mit Gospelsongs und oratorischen Werken auf.Foto: Markus Brändli

Kirchheim. „Stilbruch oder Klangbrücke?“ fragten die Veranstalter ganz oben auf dem Programmblatt ihres geistlichen „Cross-over-Konzerts“ am Samstag in der Kirchheimer Martinskirche. Die ohnehin

Thilo Adam

stets umtriebige Steffi Bade-Bräuning brachte dort in Gestalt dreier ihrer Ensembles nicht nur Generationen zusammen, sondern verschaffte dem Publikum mit exakt gezielten Griffen ins sakrale Repertoire auch einen Eindruck von dessen Spannweite.

Dass die Eingangsfrage im Jahr 2014 höchstens rhetorischer Natur sein dürfe, stand für Bezirkskantor Ralf Sach denn auch schon in der Begrüßung fest: „Eigentlich sollte heute ganz selbstverständlich in jedem Konzert, gerade im kirchlichen Bereich, ein Neben- und Miteinander der Stile, Epochen und Genres praktiziert werden.“ Und dennoch gestand Dirigentin Bade-Bräuning ein, selbst unterschwellige Scheu gespürt zu haben, Gospelsongs an die Seite oratorischer Werke zu stellen.

Selbstverständlich aber ist Thomas Pehlkens „So wie ein Baum, gepflanzt am Bach“ trotzdem nicht auf eine Rolle als Puffer zwischen den Traditionals zu Beginn und Schuberts F-Dur Messe am Ende des Konzertabends zu reduzieren. Nachdem die Damen des Esslinger Liederkranzes bei Spirituals wie dem südafrikanischen „Siyahamba“ Sangeslust und Einsatzfreude allerdings auch die nach wie vor komplizierte mitteleuropäische Beziehung zum Backbeat präsentiert hatten, machten sie sich gemeinsam mit dem Esslinger Hochschulchor, dem internationalen Jugendorchester „Die Telemänner“ und Gastsolisten an diese zeitgenössische Kantate.

Eugen Eckerts Libretto über Lukas 13, 1-9 sieht dabei neben einem zurückhaltenden Evangelisten (auch bei Pehlkens Tenorpartie) eine kommentierende „Übersetzerin“ vor, deren Mahnungen Sopranistin Eleonore Majer nicht nur im Arien-Duett mit der Orchesterflöte eindringlich und geschmackvoll darzubringen wusste. Dennoch sind es eher die Eckchöre, die der Komposition des Kölner Kirchenmusikers ihre kraftvolle Innigkeit verleihen. Pehlken bedient sich dort selbstbewusst und ohne falsche Scheu populärmusikalischer Elemente, verzahnt aber dennoch detailliert und nuancenreich Text und Musik.

Hin und wieder aufblitzende ternäre Synkopen schlagen zudem den Bogen zurück zur Phrasierung afroamerikanischer Prägung. Angesichts der wuchtigen Interpretation der Esslinger Chorsänger über dem diszipliniert und transparent begleitenden Orchester, störte so eigentlich nur eines: Im Programmtext zu Pehlkens Kantate musste man sich an entscheidender Stelle – offensichtlich aus Platzmangel – plötzlich mit Stichworten begnügen, während die erheblich redundanteren Worship-Zeilen der Spirituals genauso wie das Messordinarium für Schubert komplette Würdigung erfuhren. Bei Letzterem fallen damit immerhin die persönlichen Vorbehalte des Komponisten gegenüber bestimmten christlichen Glaubenssätzen deutlich ins Auge. So fehlt im Credo das Bekenntnis zur „einen katholischen und apostolischen Kirche“.

Diese erste Messe des damals 17-jährigen Schubert wirkt streckenweise, etwa im Kyrie, ausladender und ein Stück weniger dicht als seine spätere Musik. Gefällig und ergreifend sind dann aber die schlichte Linienführung in den Chorteilen des Credos, oder das Duett der über den ganzen Abend vortrefflichen Männersolisten Steffen Barkawitz und Matthias Nenner im Benedictus durchaus. Weil auch die Solistinnen Eleonore Majer und Katrin Rüsse ihrer Arbeit höchst routiniert und erwartungsgemäß gekonnt nachgingen, nachlassende Kondition und Konzentration beim Chor und den jungen Streichern erst spät Tribut zollten und weil Bläser und Pauke trotz Kaltstart vom ersten Ton an – Lob den Hörnern – aufmerksam und sauber das Klangbild bereicherten, war der große Schlussapplaus des viel zu kleinen Publikums ausgesprochen verdient. In einer Programmfolge, die diese Gegenüberstellung provoziert, fällt abschließend auf: Der Jubel über göttliche Größe in Schuberts Gloria und den traditionellen Spirituals gleicht sich vor allem im Überschäumenden, Pompösen, Pathetischen. Und birgt in beiden Fällen dennoch eine Erhabenheit, derer sich auch der säkulare Konzertbesucher schwer zu entziehen vermag. Schade also, dass sich davon am Samstag nicht ein größeres Publikum selbst überzeugte.