Kirchheim

Verführung zum schnelleren Radfahren

Verkehr Die Unfallzahlen mit Pedelecs ­steigen. Das liegt laut Kirchheimer Experten schlichtweg daran, dass immer mehr Radler unterwegs sind. Von Heike Siegemund

Fahren mit dem Pedelec will gekonnt sein. Ein Helm schützt vor Kopfverletzungen.Fotos: Jean-Luc Jacques
Fahren mit dem Pedelec will gekonnt sein. Ein Helm schützt vor Kopfverletzungen.Fotos: Jean-Luc Jacques

Die Zahl der Verkehrsunfälle mit Pedelec-Fah­rern steigt in Baden-Württemberg und in ganz Deutschland. Woher rührt diese Entwicklung? „Es werden immer mehr Pedelecs verkauft, und damit nimmt auch die Zahl der Unfälle zu“, sagt Bernd Cremer von der Ortsgruppe Kirchheim des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC), der auch bei der „Initiative Fahr-Rad“ aktiv ist. „Manch einer ist durch das Pedelec aber auch versucht, so zu radeln, wie es ihm körperlich vielleicht nicht mehr bekommt“, hat Cremer beobachtet, der regelmäßig Radtouren in und um Kirchheim organisiert und hier auch mit vielen Pedelec-Fah­rern unterwegs ist. Das Pedelec beschleunige zügig, was so manchen überfordere. Cremer berichtet zum Beispiel von einer älteren Dame, die gleich nach dem Aufsteigen auf das Pedelec stürzte. „Sie war überrascht, dass das Rad gleich losprescht.“

Fahrtraining macht Sinn

„Die Mehrzahl derer, die ein Pedelec fahren, ist über 60“, weiß Cremer, der selbst knapp über 70 Jahre alt ist und frühestens in fünf Jahren auf ein Elektrofahrrad umsteigen will. Das Pedelec verführe zum schnelleren Fahren - „es ist ja auch schön, wenn der Wind durch das Haar pfeift“, sagt Cremer schmunzelnd. Er empfiehlt allen Pedelec-Nutzern, die sich im Umgang mit dem Rad noch unsicher sind, ein Fahrtraining zu absolvieren. Der Kreisverband Esslingen des ADFC beispielsweise biete zusammen mit der Volkshochschule im Frühjahr Radfahrkurse an, an denen sowohl „normale“ Radfahrer als auch Pedelec-Nutzer teilnehmen können. „Die Kurse richten sich an Radler, die lange nicht geradelt sind oder die das Radfahren neu lernen möchten.“

Nicht unbedarft rangehen

Generell hält Bernd Cremer das Pedelec für ein tolles Gerät, das Menschen, die ansonsten vielleicht nicht mehr Rad fahren würden, mehr Möglichkeiten biete. Wichtig sei nur: „Man muss sich mit den Besonderheiten des Pedelecs vertraut machen.“ Wer sich ein solches Rad anschaffe, sollte zunächst „eine Zeit lang piano fahren, um sich an die neue Situa­tion zu gewöhnen“, rät Cremer. Auf keinen Fall sollte man unbedarft an die Sache rangehen.

Das sieht Stephan Fischer von „Radsport Fischer und Wagner“ in Kirchheim ähnlich. Wer sich auf dem Pedelec unsicher fühle oder noch gar nicht wisse, ob er überhaupt bereit dafür ist, könne an einem Fahrtechnik-Training teilnehmen. Ein solches bietet das Fahrradgeschäft zusammen mit der Stadt Kirchheim am Samstag, 6. Mai, auf dem Areal der Freihof-Realschule an. Das Training ist ein Baustein des Förderprogramms „Radkultur“ des Verkehrsministeriums Baden-Württemberg, bei dem die Stadt Kirchheim als Modellkommune fungiert, informiert Sascha Mohnke, Klimaschutzbeauftragter der Stadtverwaltung. Hintergrund ist, dass den Bürgern mit Hilfe des Fahrrads zu mehr Alltagsmobilität verholfen werden soll. „An diesem Tag wollen wir den Menschen das Rüstzeug geben, damit sie sich auf dem Pedelec sicher fühlen.“

Die steigende Zahl der Unfälle mit Pedelecs steigt, hängt für Stephan Fischer schlichtweg damit zusammen, „dass generell immer mehr Radler unterwegs sind“. Das Pedelec bringe wieder mehr Menschen zum Radfahren - „und das wird weiter zunehmen.“ Ein großes Problem sei, dass die notwendige Infrastruktur für Radler durch fehlende, schlecht ausgebaute oder falsch dimensionierte Radwege teilweise nicht vorhanden sei. Insofern habe die Entwicklung des Rads als Nutzfahrzeug vielerorts die Städteplanung überholt.

Dass vor allem Senioren Unfälle mit Pedelecs passieren, weil sie vermeintlich eine geringere Reaktionsfähigkeit haben und schneller überfordert sind, will Fischer so nicht stehen lassen. „Es gibt 70-Jährige, die ein besseres Reaktionsverhalten haben als so mancher 25-Jährige“, betont er. Viele Senioren, die sich ein Pedelec zulegen, seien schon lange aktive Radfahrer; „der Anteil derer, die komplett neu einsteigen, ist relativ gering“.

Im Übrigen sei das Pedelec sogar sicherer als ein gewöhnliches Rad. „Es verfügt über bessere Bremsanlagen“, betont Fischer. „Außerdem ist der Fahrer körperlich nicht so belastet, sodass er sich besser auf den Verkehr konzentrieren kann.“

Fahrradsaison -  Pedelecs -  Elktrorädern - Fahrrad - e.Bike
Symbolbild

Unfallstatistik und Gesetz

Die Zahl der Verkehrsunfälle mit Pedelecs hat in Baden-Württemberg und in ganz Deutschland im vergangenen Jahr einen neuen Rekordwert erreicht. Das meldeten kürzlich das Statistische Landes- und das Statistische Bundesamt. Demnach ereigneten sich von Januar bis September bundesweit 3 214 Unfälle mit Pedelecs, wobei 46 Menschen ums Leben kamen; im gleichen Zeitraum 2015 waren es 2 313 Unfälle, bei denen 26 Menschen starben. In Baden-Württemberg sieht die Entwicklung ähnlich aus: Von Januar bis Oktober des vergangenen Jahres verunglückten 709 Pedelec-Fahrer. Dabei kamen neun Menschen ums Leben. im selben Zeitraum im Jahr 2015 waren es 543 Verunglückte, davon sind sieben Menschen bei dem Unfall gestorben.

Das Pedelec wird oft mit dem E-Bike verwechselt, obwohl es sich um zwei unterschiedliche Geräte handelt. Das Pedelec ist per gesetzlicher Definition ein Fahrrad, das den Fahrer zwar mit einem Elektromotor bis 25 Stundenkilometer unterstützt, aber trotzdem durch Muskelkraft angetrieben werden muss. Darüber hinaus gibt es S-Pedelecs mit Motorunterstützung bis 45 Stundenkilometer, die nicht mehr zu den Fahrrädern, sondern zu den Kleinkrafträdern zählen. Benötigt werden dafür eine Zulassung und ein Versicherungskennzeichen. Das E-Bike indes ist mit einem Elektromofa zu vergleichen; es lässt sich fahren, ohne dabei in die Pedale zu treten. Für ein E-Bike sind ebenfalls eine Betriebserlaubnis und ein Versicherungskennzeichen notwendig. hei