Kirchheim

Vom Werkstättle zum Skriptorium

Für Wolfgang und Philomena Znaimer steht am morgigen Donnerstag die diamantene Hochzeit an

Vom Werkstättle zum Skriptorium
Vom Werkstättle zum Skriptorium

Kirchheim. Morgen feiern Wolfgang und Philomena Znaimer eher im Stillen ihre diamantene Hochzeit.

Am 25. August 1956 haben sie standesamtlich geheiratet. Die kirchliche Trauung folgte am 8. September. Deshalb feiern sie auch erst im September ihr ganz großes Fest – unter anderem mit vier Kindern, acht Enkeln und zwei Urenkeln. Selbstverständlich gehört dann auch ein Gottesdienst in Sankt Ulrich zur Feier. Dort hatten sie sich kennengelernt, in der katholischen Jugend. Dort singen sie seit über sechs Jahrzehnten im Kirchenchor, dort haben sie geheiratet sowie Taufen, Erstkommunionen und Firmungen ihrer Kinder erlebt.

Wolfgang Znaimer ist in Kirchheim allgegenwärtig – nicht nur durch zahlreiche ehrenamtliche Tätigkeiten in der Kirchengemeinde, im Mährisch-Schlesischen Sudetengebirgsverein (MSSGV), im Förderkreis Kirchenmusik oder im Verschönerungsverein. Er hat auch maßgeblich am heutigen Erscheinungsbild der Stadt mitgewirkt: als Maler, Grafiker, Kalligraf, Vergolder und Dekorateur. „Wenn ich mich in Kirchheim umschaue, denke ich immer: Das habe ich auch gemacht“, sagt er und bezieht sich dabei auch auf die vielen Ausleger, die die Häuser schmücken.

Bei diesen Arbeiten sieht sich der 83-Jährige in der Nachfolge seines „eigentlichen Lehrmeisters“ Otto Stach. Zunächst hatte er Maler gelernt, ab 1948 bei Stadelmaier in Kirchheim. Das genügte ihm aber auf Dauer nicht, und so hat er sich zum Grafiker weitergebildet. Als er einmal bei einer Hobbyausstellung im Kornhaus eigene Werke zeigen wollte, sagte Bruno Mader zu ihm, dass er ei­gentlich viel zu gut sei für eine Werkschau von Hobbykünstlern. Für Theateraufführungen auf dem Rollschuhplatz hat Wolfgang Znaimer übrigens einst die Kulissen gemalt. Er erinnert sich noch gut, wie Bruno Mader den Jedermann gespielt hat und Carl Weber den Tod. Das waren Zeiten!

Das Kornhaus sollte für Wolfgang Znaimer wegweisend sein und bleiben: Bei rund 65 Ausstellungen hat er in 30 Jahren geholfen, Ausstellungsobjekte ins rechte Licht zu rücken. Auch seine kalligrafischen Fähigkeiten waren dabei gefragt. Das Schreiben ist ihm nämlich eine weitere Berufung: „Seit Carl Joseph Leiprecht schreibe ich die Bischofsurkunden für Rottenburg. Das sind jetzt schon um die 800 Urkunden.“ Auch goldene Bücher schmückt Wolfgang Znaimer mit seinen Eintragungen für illustre Gäste: sowohl in Kirchheim als auch neuerdings in Wendlingen.

Sein Herz schlägt für Kirchheim als seine zweite Heimatstadt. Genauso aber hängt es an Zlabings, seiner Geburtsstadt in Südmähren, aus der er 1945 gemeinsam mit seiner Mutter und seinen beiden Geschwistern vertrieben wurde. Zunächst ging es über viele Umwege nach Ochsenwang, wo auch der Vater wieder zur Familie stieß. Seit Beginn der Malerlehre lebt Wolfgang Znaimer in Kirchheim, seit 1966 im eigenen Heim in Ötlingen.

Im Gegensatz zu ihrem Mann ist Philomena Znaimer fast eine echte Kirchheimerin. Die 81-Jährige hat immer schon in Kirchheim gelebt. Allerdings, betont sie, stammten ihre Eltern nicht aus Kirchheim: Ihr Vater kam vom Oberland und ihre Mutter von der Ostalb. Als gelernte Verkäuferin war sie übrigens auch einmal im Kornhaus tätig: Als in der Marktstraße der damalige Battenschlag-Neubau entstand, war der Laden übergangsweise im Kornhaus untergebracht.

Zlabings ist aber auch für Philomena Znaimer so etwas wie die zweite Heimatstadt. Schon vor dem Fall des „eisernen Vorhangs“ waren die Znaimers mehrfach im heutigen Slavonice. Durch eine weitere Leidenschaft war Wolfgang Znaimer dort den Behörden aufgefallen: als einer, der jedes Haus fotografiert. Immerhin hat es ihm diese Leidenschaft ermöglicht, dass er für Zlabings eine ähnlich rege Aktivität entwickeln konnte wie für Kirchheim – wenn es um die Verschönerung der Stadt geht. Weitere Reisen führten das Ehepaar in die Berge. Gletschertouren mit Steigeisen waren nichts Ungewöhnliches. „Da waren wir ein bisschen jünger, da hat man das noch geschafft“, sagt Philomena Znaimer verschmitzt. „Das“ ist beispielsweise die Besteigung des Großvenedigers.

Das Geheimnis der langen Ehe kommt eher in den Zwischentönen zur Sprache. Wolfgang Znaimer lobt seine Frau: „Sie war mir immer eine gute Kritikerin, das hat mich in meiner Arbeit bestärkt.“ Sie wiederum meint vielsagend, dass sie ihren Mann „eben 60 Jahre lang ausgehalten“ habe. Ein Detail zeigt dann das ganz Besondere: Wolfgang Znaimer bittet bescheiden in sein „Werkstättle“, doch an der Tür weist eine ganz andere Bezeichnung darauf hin, was sich dahinter verbirgt: „Skriptorium“. Das ist die Bezeichnung von Philomena Znaimer, und darin liegt wohl das Geheimnis: Nicht auszudenken, würde er vom „Skriptorium“ reden und sie es als „Werkstättle“ abtun.