Kirchheim

Von Geistern, Drachen und Hexen

Lesung Dem Standardwerk zum Thema Sagen „Vom Mummelsee zur Weibertreu“ haben Ursula und Ulrich Staehle mit einer Lesung in der Stadtbücherei zu einer angemessenen Würdigung verholfen. Von Stefanie Klink

Einen kurzweiligen und unterhaltsamen Einblick in den regionalen Sagenschatz boten Dr. Ulrich Staehle vom Literaturbeirat in Kirchheim, der auch die vorgetragenen Geschichten ausgewählt hatte, und Mareike Schmidts. Die diplomierte Sprechtrainerin trug bekannte Sagen aus Baden-Württemberg wie „Verena Beutlin“, „Sybille von der Teck“ und „Der Riese Heim“ vor.

Bereits die dritte Auflage

All diese Sagen und noch viele weitere, wurden vom ehemaligen Direktor der Grundschule Weilheim Manfred Wetzel und dem ehemaligen Stadtpfarrer von Weilheim Joachim Burzik, wunderschön nacherzählt und illustriert und in deren Werk „Vom Mummelsee zur Weibertreu“ bereits in dritter Auflage veröffentlicht.

Manfred Wetzel, der selbst nicht an der Veranstaltung teilnehmen konnte, ließ durch Ulrich Staehle ein persönliches Statement verlesen, wie es überhaupt dazu kam, dass er sich mit Sagen auseinandergesetzt hatte. Als ehemaliger Heimat- und Sachkundelehrer hatte er ohnehin eine Neigung zu historischen Stoffen, fand die Texte in den Schulbüchern zu regionalen Legenden aber oft schwer verdaulich und machte sich so selbst daran, die Geschichten in für die Schüler geeignete Form zu bringen. Eine schicksalhafte Begegnung hatte er dabei mit dem damaligen Stadtpfarrer Joachim Burzik, der nach dem Religionsunterricht stets wunderbare, von ihm selbst gemalte Heiligenbilder an der Schultafel hinterließ. Wetzel beschrieb, dass es ihm schwer fiel, diese Kunstwerke wieder von der Tafel wischen zu lassen, weswegen er der Idee verfiel, seine gesammelten und neu erzählten Sagen von Burzik illustrieren zu lassen. So entstand zunächst „Aus uralter Zeit“, dann „Der Schatz im Berg“ und schließlich „Vom Mummelsee zur Weibertreu“.

Mareike Schmidts eindrucksvoller Vortrag und ihre ausdrucksstarke Stimme ließen die uralten Sagen buchstäblich zum Leben erwachen. „Die Geister vom Mummelsee“, „Der Drache auf der Limburg“ und „Die Blautopf-Beschwörung“ lassen verwunschene Lichtungen auf der Alb, Ritter und Prinzessinnen vor dem geistigen Auge aufleben. In „Die Weiber von Weinsberg“ erzählte Schmidts den gebannten Zuhörern, wie Stauferkönig Konrad den Weinsberger Frauen versprach, sie dürften aus der belagerten Burg mitnehmen, was ihnen am Wichtigsten schien und was sie auf den eigenen Schultern zu tragen vermochten. Und so staunte er nicht schlecht, als am nächsten Morgen die Frauen ihre Gatten auf dem Rücken aus der Festung schleppten.

Die Abhängigkeit vom Erzähler

Ulrich Staehles Vergleich von drei verschiedenen Versionen der Beutlin-Saga verdeutlichten, wie abhängig die Essenz einer Legende vom jeweiligen Erzähler ist. Ob in der Ursprungsfassung von Karl Mayer, der in blumiger und mit vielen Adjektiven versehenen Sprache einen wahren „Sagenkitsch“ verfasst hat, wie der Mediävist und Archivar Klaus Graf meinte; oder auch die zweite, von Klaus Graf selbst verfassten Version, in damals üblicher Sprach- und Sprechweise nacherzählt, die schon deutlich realistischer anmutete. Und schließlich Manfred Wetzels Version, die im Vergleich zu den beiden vorhergehenden sachlich, knapp, aber dennoch poetisch und unaufdringlich daherkommt, wie Ulrich Staehle vermittelt: Wetzels Ziel sei, ein exemplarisches Buch zu schaffen, das die Geschichten der Heimat in sprachlich unverkrampfter Weise übermittelt. Wohingegen Klaus Graf speziell die „Sagen sammelnden Lehrer“ kritisierte, die diese Überlieferungen eben nicht nur weitererzählten, sondern verfremdeten, indem sie sich im Sinne der Pädagogik auf die in den Sagen enthaltenen moralischen Werte konzentrierten und zum Kitsch wandelten.

Sagenkitsch und Realität

Sagenkitsch kann man die eingängigen Texte von Wetzel nun wirklich nicht nennen. Bestürzend mutet so das Schicksal der Verena Beutlin an, das Wetzel zwar in entspannter, aber dennoch wirklichkeitsgetreuer und nachdrücklicher Art beschreibt. Eine Frau, die mit ihren beiden Söhnen in einer Höhle am Teckberg gelebt hat. Nachdem der Hunger die Jungen ins Dorf getrieben hat, um Nahrung zu beschaffen, soll sie als Ehebrecherin und Hexe ein trauriges Ende auf dem Scheiterhaufen gefunden haben.

Die Zuhörer sind am Ende begeistert: „Klasse!“ „Wunderbar!“ „Sehr kurzweilig!“ „Schön gemacht!“ „Ganz wunderbar gelesen, ein Ohrenschmaus!“