Kirchheim

Wählen, aber nicht wählen lassen

Wahlen Seit 100 Jahren haben Frauen Wahlrecht. Doch Politik machen sie kaum. In den kommunalen Parlamenten sitzen wenig Frauen. Der Internationale Frauentag gibt Anlass zur Frage: Warum? Von Irene Strifler

Symbolbild Wahl
Symbolbild Wahl

Deutschland wird seit 14 Jahren von einer Frau regiert, Kirchheim noch ein Jahr länger. Doch in den kommunalen Parlamenten ist der Frauenanteil verschwindend gering. Dettingen und Kirchheim schaffen‘s als Spitzenreiter gerademal auf ein Drittel weiblicher Räte, in Owen und Holzmaden mischt sich eine einzige (Alibi-)Frau unter lauter Männer. Das wird sich auch nach der Kommunalwahl kaum ändern, denn alle Gruppierungen und Fraktionen klagen über die Schwierigkeit, Frauen für ihre Listen zu gewinnen, frau will sich nicht wählen lassen. Die Frauenliste in Kirchheim tritt nach 15 Jahren Arbeit im Ratsrund gar nicht mehr an.

Marianne Erdrich-Sommer ist seit 1989 für die Grünen im Kreistag und war von 1996 bis 2001 Landtagsabgeordnete. 2004 wurde die e
Marianne Erdrich-Sommer ist seit 1989 für die Grünen im Kreistag und war von 1996 bis 2001 Landtagsabgeordnete. 2004 wurde die ehemalige Leiterin der Jakob-Friedrich-Schöllkopf-Schule in Wendlingen Stadträtin.

„Wenn die Grünen nicht wären, sähe es mit den Frauen in Gremien noch schlechter aus“, sagt Marianne Erdrich-Sommer, die absolut überzeugt ist von Listen mit Frauenquoten. Lachend räumt sie im Verweis auf ihre politischen Anfänge im Landesschiedsgericht ein: „Ich bin auch eine Quotenfrau.“ „Der Sinn der Quoten ist, dass man mit einem ganz anderen Blick auf Frauen zugeht, man muss die Frauen langfristig fördern“, macht sie klar. Frauen bräuchten eine Hilfe für den Einstieg, und die Kandidatur auf einer Liste ist nun mal der Einstieg in die Politik. Immerhin hätten alle Parteien mittlerweile die Notwendigkeit erkannt, mehr Frauen in Gremien zu schicken: „Die Borniertheit von früher ist nicht mehr da“, meint die langjährige Vorsitzende der Grünen im Kreis und ermuntert junge Frauen, sich nicht von „Männerbünden“ abschrecken zu lassen.

Carla Bregenzer war 1992 bis 2008 SPD-Landtagsabgeordnete im Wahlkreis. Im Gemeinderat Frickenhausen und im Kreistag war die Son
Carla Bregenzer war 1992 bis 2008 SPD-Landtagsabgeordnete im Wahlkreis. Im Gemeinderat Frickenhausen und im Kreistag war die Sonderpädagogin 1979 bis 1996 tätig. Dem Kreistag gehört sie wieder seit 2004 an.

Dass politische Arbeit Frauen leichter fällt, wenn sie Mitstreiterinnen haben, steht auch für Carla Bregenzer außer Frage. Potenziellen Kandidatinnen macht sie Mut: „Man braucht für den Kreistag und Gemeinderat Interesse am Leben um einen herum und muss sich nicht voll und ganz in der großen Politik auskennen. Schließlich werde überall mit Wasser gekocht: „Frauen haben einen hohen Anspruch an sich selbst und glauben immer noch, sie müssten besonders klug sein, um sich wählen zu lassen“, hat die langjährige SPD-Landtagsabgeordnete beobachtet. Wenn sie deshalb nicht aktiv werden, sei das zu bedauern. Schließlich hätten Frauen durchaus einen anderen Blick auf das Leben und seien beispielsweise im ökologischen Bereich viel aktiver.

Dr. Gisela Meister-Scheufelen war von 1996 bis 2000 CDU-Landtagsabgeordnete für Kirchheim. 1987 war die Juristin die jüngste Bür
Dr. Gisela Meister-Scheufelen war von 1996 bis 2000 CDU-Landtagsabgeordnete für Kirchheim. 1987 war die Juristin die jüngste Bürgermeisterin im Land in Ludwigsburg. Heute steht sie dem Normenkontrollrat vor.

„Wir brauchen mehr Frauen in der Politik“, lautet auch das Credo von Dr. Gisela Meister-Scheufelen. Die CDU-Politikerin hat ihre umfangreiche politische Karriere als Frauenbeauftragte in Ludwigsburg begonnen. Seither hat sich der Anteil von Frauen in politischen Parlamenten nicht erhöht. Drei Gründe macht sie dafür verantwortlich: Zum einen ist da der Faktor Zeit. Weiter schreckt die politische Kultur mit zunehmender Verrohung und langen Debatten ab. Hier müsste organisatorisch der Hebel angesetzt werden, etwa durch klare Zeitbegrenzungen, wie dies Länder im Norden Europas vormachten. Schließlich die Bedeutung von Netzwerken: Je bekannter einer ist, desto eher wird er gewählt. Diese simple Logik hält viele Frauen von der Kandidatur ab. Dass Frauen politisch interessiert sind, steht für Meister-Scheufelen außer Zweifel. Die gleichrangige Besetzung der Parlamente mit Frauen und Männern entspreche dem Demokratieprinzip, betont die Juristin. Um den Frauenanteil zu erhöhen, erscheint der CDU-Frau die Quote als probates Mittel. Diese Regelung habe schließlich auch in den Aufsichtsräten zu nennenswerten Verbesserungen geführt, verweist sie auf die Wirtschaft und erklärt kategorisch: „Ohne Reißverschlussverfahren kommen wird nicht weiter, Appelle allein reichen nicht.“

Renata Alt ist für die FDP im Wahlkreis seit 2017 im Deutschen Bundestag. Seit 2016 ist die Chemie-Ingenieurin, die als Attaché
Renata Alt ist für die FDP im Wahlkreis seit 2017 im Deutschen Bundestag. Seit 2016 ist die Chemie-Ingenieurin, die als Attaché der Tschechoslowakei nach Deutschland kam, Mitglied im Kirchheimer Gemeinderat.

„Wir Frauen wollen mitgestalten, also müssen wir uns auch selbst engagieren“, macht Renata Alt Geschlechtsgenossinnen Mut, Verantwortung zu übernehmen. Ihre Erfahrung: Ein Mann überlegt nicht lang, ob er das kann, er schnappt sich den Job einfach, während die Frau noch überlegt. „Vieles, was Männer richtig machen, sollten ihnen die Frauen abschauen“, ist daher ihre Schlussfolgerung. Das vor hundert Jahren schwer erkämpfte Wahlrecht bedeute auch die Pflicht, sich heute für die Regierungsform der repräsentativen Demokratie stark zu machen. Konkret ist für Renata Alt wichtig, an einer neuen, frauenfreundlicheren Sitzungskultur zu arbeiten, die die Präsenzpflicht reduziert. Selbst hat sie schon beste Erfahrungen gemacht mit Telefonkonferenzen und drastischen Zeitlimits. Die Steigerung der Sitzungseffizienz sei für alle ein Vorteil und locke Frauen an. Das findet Renata Alt gut, denn sie ist überzeugt: „Frauen bereichern und verbessern die Politik.“