Kirchheim

Walnussbäume haben einen Plan B

Natur Der späte Frost hat auch die Walnussbäume in Mitleidenschaft gezogen. Nüsse gibt es zwar keine, dafür einen zweiten Trieb, der die Bäume leben lässt. Von Iris Häfner

Die jungen Triebe sind erfroren und abgestorben. Der Rest des Baums hat ausgetrieben. Foto: Mirko Lehnen
Die jungen Triebe sind erfroren und abgestorben. Der Rest des Baums hat ausgetrieben. Foto: Mirko Lehnen

Einen trostlosen Anblick boten sämtliche Walnussbäume in der Region nach dem strengen Frost in diesem Frühjahr. Blüten und Triebe waren nach einem warmen Witterungs-Intermezzo komplett erfroren, hingen abgestorben an den Astenden. Zerrieb man die trockene, braun-schwarze Masse zwischen den Fingern, war zwar unverkennbar Nussbaumduft zu riechen, klar war jedoch auch: Die jungen Triebe am kompletten Baum sind tot.

„Die Spitzen sind abgefroren, die Würstle sind weg. Was weich und krautig war, ist nach dem Frost abgestorben“, erklärt Albrecht Schützinger, Obst- und Gartenbauberater des Landkreises Esslingen. Die „Würstle“ sind die männlichen Blüten des Walnussbaums, die weiblichen sind kleiner und sitzen unscheinbar direkt am Ast. Zwischenzeitlich sind die erfrorenen Blüten und Blätter von frischem Grün überdeckt, die schlafenden Augen sind zum Leben erwacht und versorgen nun den Baum dank Fotosynthese mit Energie - die Bäume haben für solche Fälle einen Plan B. „Das ist der zweite Aus- beziehungsweise Neutrieb. Mit dem Johannistrieb hat das nichts zu tun“, erläutert der Berater.

Nur die zarten Astspitzen zeugen noch vom scheinbaren Tod des Baums. „Irgendwo im Holz ist diese natürliche Reserve gelagert“, sagt Albrecht Schützinger. An diesen Stellen verzweigen sich die Äste, weshalb er bei jungen Bäumen im Alter bis zu zehn Jahren zu einem Kronenschnitt zur Korrektur der Triebe rät. „Bei allen älteren muss und kann man nichts machen“, erklärt er und spricht bei alten Exemplaren von massiven Gebilden mit starken Holzeinlagerungen, denen solch ein Spätfrost nichts anhaben kann.

Allerdings ist auch bei ihnen ein Jahr verloren. Die Vegetationszeit hat sich ordentlich verkürzt. „Erst Ende Mai haben die Bäume richtig begonnen, zu wachsen. Es fehlen zwei Monate bis zum Herbst“, erklärt Albrecht Schützinger. Dies ist in den Jahresringen dokumentiert, sie sind enger und kompakter. „Die Entwicklung entspricht nicht einem normalen Jahr“, erklärt der Berater im Blick auf alle Baumarten. In der Regel können die Bäume sich regenerieren, allerdings wird es so gut wie keine Ernte geben.

„1991 war es genauso. Ich erinnere mich, dass ich als junger Berater sprachlos da gestanden bin“, sagt Albrecht Schützinger. Doch erfahrene Obstbauern konnten sich noch gut an das Jahr 1981 erinnern, wo ebenfalls die jungen Triebe erfroren waren. „Der Notmechanismus der Natur ist phänomenal. Was da an Kraft dahintersteht. Ich wundere mich richtig, dass manche Bäume Früchte tragen“, ist der Fachmann aufs Neue von der Reproduktionsfähigkeit der Pflanzen begeistert. So entdeckte er in Hepsisau einzelne Kirschbäume, die nicht erfroren sind, und solche Exemplare, die leer sind - und drei Äste mit Kirschen vollhängen.

Der Berater spricht von Witterungsextremen in diesem Jahr. „Die ziehen sich durch bis jetzt“, beobachtet er. Konnten Gartenbesitzer im März schon Rasen mähen, stockte der Wuchs wegen Frost und Trockenheit nahezu vier Wochen. „Das ist wie ein 100-Meter-Lauf: Sie rennen zehn Meter mit Vollgas und stehen dann fünf Minuten, um dann wieder mit Vollgas die nächsten Meter zurückzulegen“, nennt Albrecht Schützinger als Vergleich. Viele Pflanzen stehen deshalb extrem unter Stress. Gießen und Düngen ist auch bei alten Bäume heuer angebracht, ebenso ein kleines Auslichten der Krone, wenn die Triebe kräftig sind. „Die Blüteninduktion ist jetzt im Juni abgeschlossen. Dann lagert sich die Energie in Holz ein“, erklärt der Berater. Er hofft nun auf einen normalen Witterungsverlauf: „Hagel wäre schlecht, schnelle extreme Hitze oder eine lange Trockenperiode.“ Ein weiteres Schreckensszenario wäre die massenhafte Vermehrung von Schädlingen.

Borkenkäfer riecht gestresste Fichten

Spätfrost bedeutet auch für Nadelbäume Stress. Symbolbild

Der Frost im Frühjahr ist für die Waldbäume kein Problem - auch mehrere Jahre nacheinander. Nichtsdestotrotz hat er den Austrieb stark getroffen. „Die Eiche kann zwei Mal im Jahr frische Triebe bilden, der zweite verpilzt jedoch gerne“, sagt Anton Watzek, Leiter des Forstamts im Landkreis Esslingen. Auch die Buche schafft dieses Kunststück, tut sich damit allerdings schwerer als die Eiche. Natürlichen Buchen-Nachwuchs des Jahres 2017 wird es in vielen Lagen nicht geben. Die kleinen Bäumchen sind erfroren und damit tot.

Die Nadelbäume treiben nach den Frostnächten ebenfalls frisches Grün. „Die Tanne ist empfindlicher als die Fichte. Ihre Triebe werden schnell braun“, erklärt Anton Watzek.

Der Borkenkäfer bereitet dem Forstmann weitaus mehr Sorgenfalten. „Wir sind auf der Hut“, sagt er. Der Käfer fliegt bei Temperaturen ab 16 Grad Celsius und sucht nach Brutplätzen. „Gestresste Fichten kann der Käfer riechen und legt dann dort seine Eier ab. Das ist wie ein Brutschrank“, beschreibt der Amtsleiter. Wird die Rinde zwischendurch nass, verpilzt die Brut. Bei warmer Witterung sind aufmerksame Förster gefragt. Betroffene Bäume müssen schnell gefällt - und dann zügig verkauft und abgefahren werden. Klappt das nicht, werden die Stämme entrindet, denn auch gefällte Bäume können sich zum Infektionsherd entwickeln. „Wir haben einen Blick dafür: Sobald wir Bohrmehl sehen, werden wir aktiv“, sagt Anton Watzek. ih