Die heitere Grundstimmung im Kirchheimer Spitalkeller wurde immer wieder durch fassungslose Stille, streckenweise blankes Entsetzen, unterbrochen. Das lag an Doktorin Claudia Wallner, die auf Einladung der Frauenliste und der Volkshochschule im Rahmen der Frauenkulturtage in die Teckstadt gekommen war. „Weibs-Bilder: Von Bürgerinnen, gefallenen Mädchen, adretten Ehefrauen, Hippies und Karrierefrauen“ war ihr Vortrag überschrieben.
„Wir Frauen sind weit gekommen - aber bei Weitem noch nicht weit genug“, stellte sie gleich zu Beginn fest und gab einen unterhaltsamen Überblick vom langen Kampf um Anerkennung, Selbstbestimmung und Gleichberechtigung der Frau. Der begann mit einem kurzen Ausflug in die Kulturgeschichte. Mit der Aufklärung sei die Zweigeschlechtlichkeit aufgekommen. „Die Vorstellung einer göttlich gegebenen Hierarchie wurde abgelöst von Forderungen nach Gleichheit. Männer machten die Frauen zu ,den Anderen‘, um trotzdem die Geschlechterhierarchie aufrechtzuerhalten“, sagte die Referentin und zitierte aus dem Brockhaus von 1815. Dem „Weib“ wurde „Güte und List“ zugeschrieben und obwohl sie „langsam, heimlich und in sich selbst gekehrt ist“ ist sie dann erstaunlicherweise „geschäftig immerdar, in nimmer ruhender Betriebsamkeit“. „Mit diesem Rollenbild haben wir heute noch zu kämpfen“, sagt Claudia Wallner.
Die erste Welle des Feminismus gab es Mitte des 19. Jahrhunderts. Doch den fröhlichen 1920er-Jahren machte der Nationalsozialismus den Garaus. „Mädchen, gedenke, daß du eine deutsche Mutter werden sollst“, stand auf urkundeähnlichen Blättern, das junge Frauen „Zur Erinnerung an die Schulzeit“ bekamen.
Ein wichtiger Meilenstein war 1949 die Veröffentlichung des Essays „Das andere Geschlecht - Sitte und Sexus der Frau“ von Simone de Beauvoir. Der zentrale Satz: „Man wird nicht als Frau geboren, man wird es.“ Wenig Bildung, keine Rechte - die drei Ks Kinder, Kirche, Küche hatten die Frauen in der BRD fest im Griff. „Es gab die gesetzliche Verpflichtung zur Haus- und Familienarbeit und zusätzlich zur Erwerbsarbeit bei Geldnot, wofür es aber der Einwilligung des Ehemanns bedarf. Der Besitz der Frau ging mit der Heirat automatisch auf den Ehemann über.“ Diese Ausführungen sorgten für fassungsloses Kopfschütteln bei den Zuhörerinnen. Doch die Gruselauflistung aus den 1960er-Jahren ging weiter: Wurden die Frauen bei der Scheidung schuldig gesprochen, verloren sie den Unterhaltsanspruch und das Sorgerecht. Unverheiratete Mütter erhielten grundsätzlich nicht das Sorgerecht. Ein BGH-Urteil vom 2. November 1966 kam bezüglich der „ehelichen Pflichten“ zu dem Schluss, als ein Ehemann geklagt hatte: „. . . so fordert die Ehe von der Frau doch eine Gewährung in ehelicher Zuneigung und Opferbereitschaft und verbietet es, Gleichgültigkeit oder Widerwillen zur Schau zu tragen.“ „Diese Komplettentrechtung der Frau galt bis 1976 auf dem Boden des Grundgesetzes“, erklärte die Referentin den fassungslosen Zuhörerinnen.
Feministinnen wehrten sich gegen die Unterdrückung durch den Mann und das Patriarchat, gegen sexuelle Zurichtung. Die gesetzliche Wende schafften jedoch erst die „DDR-Frauen“ nach der Wiedervereinigung 1989. Im Paragraf 218 Abtreibungsgesetz gilt nun die Fristenregelung mit Beratungspflicht und Indikation, und im Paragraf 3 Grundgesetz steht: Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile.
Doch Vorsicht Falle, Frau muss heute alles sein und können: sexy, stark, anschmiegsam, gut gebildet, schön und cool. „Die eierlegende Wollmilchsau also“, fasste es Claudia Wallner zusammen und spricht vom Fluch der Gleichstellungspolitik. Mehr Gleichberechtigung heißt für die Frauen mehr Aufgaben - ohne Austausch und neuem Geschlechtervertrag. Sobald ein Paar Kinder hat, geht es zurück zur klassischen Verteilung, eineinhalb Stunden mehr pro Tag leisten Frauen an Familienarbeit. „Das Anforderungsprofil an die Frauen ist gewaltig. Wenn sie es nicht erfüllen, sind sie selber schuld. Diese Suggestion kommt an und dem müssen wir reale Frauen entgegensetzen.“ Greta Thunberg, Initiatorin der „Fridays für Future“, und Mai Thi Nguyen-Kim, Youtouberin, Chemikerin und Quarks-Moderatorin nannte sie als Beispiele. Immer mehr junge Frauen würden sich entweder für Kinder oder Job entscheiden. „Sie haben Angst vor dem Leben, das ihre Mütter führen. Sie suchen nach Lösungen, damit sie sozial nicht abgehängt werden“, so die Referentin.
Sie erinnerte an Kräfte, die feministische und frauen- und gleichstellungspolitische Errungenschaften zurückdrehen wollen. „Die sind immer von patriarchalem Machterhalt motiviert. Gleichberechtigung als Teil von Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit, sie muss verteidigt und aktiv erhalten werden“, ist sie überzeugt.