Kirchheim

„Wir müssen die Demokratie verteidigen“

Neujahrsempfang Was zu tun ist, sagt die SPD-Landesvorsitzende Leni Breymaier in 40 feurigen Minuten. Reichen würde ihr Programm für Jahrzehnte. Von Peter Dietrich

Vor Kirchheimer Publikum fordert die SPD-Landesvorsitzende weniger Hass und mehr Inhalte.Foto: Peter Dietrich
Vor Kirchheimer Publikum fordert die SPD-Landesvorsitzende weniger Hass und mehr Inhalte.Foto: Peter Dietrich

Als Leni Breymaier während einer Fraktionssitzung auf ihr Smartphone sah und zum ersten Mal las, dass Schulz Kanzlerkandidat werden sollte und Gabriel zurücktritt, hielt sie es, ganz im Geiste der Zeit, für Fake-News. Doch es stimmte - und die Aufbruchsstimmung war auch noch beim Neujahrsempfang des SPD-Kreisverbands im Kirchheimer Alten Gemeindehaus zu spüren. Seit Donald Trumps Wahl hat der Kreisverband 25 neue Mitglieder gewonnen. „Seitdem sind die Leute aufgewacht“, sagt der Kreisvorsitzende Michael Beck. „Wir leben in einer Zeit der Politisierung“, sagte Breymaier. Heute sei das ein Anlass zu Beitritten wie früher die Wahl von Willy Brandt oder der Abschied der FDP aus der sozialliberalen Koalition.

„Ich bin ein Fan von Inhalten“, betonte Breymaier und zeigte das den 160 Zuhörern in ihrer feurigen Rede. Sie will die SPD als Spitzenkandidatin im Land in die Bundestagswahl führen und auf keinen Fall weiterhin eine große Koalition. Unter anderem der Bürgerversicherung wegen, in die alle solidarisch einzahlen, auch die Beamten. „Mit der CDU kriegst du das nicht hin.“ Ein Systemwechsel sei nicht gerade dann möglich, wenn gerade die Babyboomer in Rente gingen. Doch er müsse langfristig geplant werden. Die Verbesserung der Mütterrente sei richtig gewesen, wenn auch falsch finanziert: „Das hätte aus Steuermitteln bezahlt werden müssen, nicht aus Beiträgen.“ Aber es gebe für vor 1992 geborene Kinder noch immer nur zwei Rentenpunkte, nicht drei, ein Unterschied von monatlich rund 30 Euro. „Ihr Frauen, gebt keine Ruhe!“, fordert sie auf.

Es gebe so viele Alte und wenige Junge, werde bei der Rente geklagt. Würden denn die Jungen durch die Privatvorsorge plötzlich mehr? „Auch bei der Privatvorsorge muss alles die aktive Bevölkerung erwirtschaften“, erinnerte Breymaier an das altbekannte Mackenroth-Theorem. „Wir haben keinen Konflikt Jung gegen Alt, sondern Reich gegen Arm, den müssen wir klären.“

Kein Thema für eine Legislaturperiode, sondern für bis zu 50 Jahre sei die menschliche Gestaltung der Digitalisierung. „Wenn die Autos selbst fahren, wir vielleicht gar kein Auto mehr besitzen, wer profitiert davon? Haben wir dann die 19-Stunden-Woche und pro Woche einen Tag Fortbildung?“

In Breymaiers Kindheit war durch die Erlebnisse der Eltern der Krieg noch stets präsent. „Das Friedensversprechen Europas hat uns getragen.“ Heute pfeife ein Jugendlicher, in dessen Land jeder zweite Jugendliche arbeitslos sei, auf Europa. „Europa ist zu einem Europa der Märkte verkommen.“ Breymaier will einen pointierten Wahlkampf, aber: „Wir dürfen keine Lügen und keinen Hass verbreiten. Wir müssen die Demokratie verteidigen, mehr als bisher.“ Die Dinge seien beim Namen zu nennen: „Ein Rassist oder Sexist ist kein Populist, sondern ein Rassist oder Sexist.“

Für die kommende Bundestagswahl hofft die SPD auf bessere Zeiten. Aktuelle Umfragen sprechen dafür. SPD-Landtagsabgeordneter Andreas Kenner sagte: „Das mit der Landtagswahl darf der SPD kein zweites Mal passieren. Der VfB steigt ja auch nur einmal in 30 Jahren ab.“

Leni Breymaier

1. Vielen Genossen fallen Kritik an der Agenda 2010 und Korrekturen noch immer schwer. Wie findet die SPD einen angemessenen Weg?

Die Agenda ist 2003 beschlossen worden, jetzt haben wir 2017. Es ist falsch, wenn die SPD ewig zurückschaut und hadert und sich entschuldigt. Politik wird nicht im Rückwärtsgang gemacht. Mit dem gesetzlichen Mindestlohn sind Teile der Agenda bereits korrigiert worden. Im Detail wurde manches, bei dem man über das Ziel hinausgeschossen ist, schon verändert. Nach meinem Geschmack noch nicht alles, aber es geht nur im Vorwärtsgang.

2. Sie haben Martin Schulz einen „überzeugten Europäer“ genannt. Europa leidet an enormen Ungleichgewichten, der Exportweltmeister Deutschland lässt anderen keine Chance.

Wenn die Märkte außerhalb Europas so fragil werden wie die USA, wissen wir alle noch nicht, was das für Auswirkungen hat. Aber zwei Drittel der deutschen Exporte gehen nach Europa. Gegen das Ungleichgewicht zwischen Import und Export müssen wir die Nachfrage im Inland stärken. Die anderen zahlen mit ihren Schulden unseren Überschuss.

3. Sie haben die Position der AfD zur Rente erwähnt. Trotzdem wird sie von Rentnern gewählt, gegen die eigenen Interessen. Was tun gegen politische Unvernunft?

Das ist meine größte Herausforderung für die Bundestagswahl. Wenn man die Chance hat, mit Leuten ins Gespräch zu kommen, ist das nicht schwierig. Hier im Raum habe ich mit vielen Leuten eine Schnittmenge, was wir an Medien aufnehmen. Aber es gibt Leute, die sind in ganz anderen Informationsblasen drin. Die demonstrieren wegen einer Vergewaltigung an einem Mädchen, die nie stattgefunden hat. Das ist völlig irre. Heute war ein schöner Abend, aber da fehlen ein paar Leute. Diejenigen, die meinen, dass alles schlecht ist, das man jetzt Protest machen muss, gegen die eigenen Interessen, die will ich erreichen. Da habe ich noch keine perfekte Lösung für gefunden. pd