Kirchheim

Yorck Kronenberg
weckt Lust auf mehr

Konzert Der Ausnahmepianist wird in der Stadthalle vom Kirchheimer Publikum gefeiert.

Yorck Kronenberg. Foto: Irene Zandel

Kirchheim. Wohl noch ganz im Bann des Gehörten stehend, feierte ein prominenter Hamburger Musikkritiker einen Sonatenabend Yorck Kronenbergs als „Hochamt des kompromisslosen Kunstverständnisses“. So pathetisch dies klingen mag - auch beim Kirchheimer Solo-Récital des Pianisten war zu erleben, wie feinsinniger Gestaltungswille sich mit großer interpretatorischer Empathie vereint.

 

Kronenberg gilt als famoser Bach-Interpret. Mehr als einmal verglich ihn die Fachpresse mit der kanadischen Klavierlegende Glenn Gould. Seine CD-Einspielungen der Bachschen Klavierkonzerte mit dem Züricher Kammerorchester dürften diesen Ruf noch untermauert haben. So stand auch Bach am Beginn des Kirchheimer Konzerts. Die Chromatische Fantasie und Fuge BWV 903 zählt für Spieler und Hörer gleichermaßen zu den Höhepunkten des Bachschen Klavierwerks. Dass die Popularität der Fantasie kein Phänomen unserer Zeit ist, sondern bereits zu Bachs Lebzeiten und lange vor der Bach-Renaissance des 19. Jahrhunderts einsetzte, zeigt die Wertschätzung, die ihr schon von den Zeitgenossen des Komponisten entgegengebracht wurde. Johannes Brahms pflegte als junger Virtuose mit dieser Chromatischen Fantasie seine Konzerte zu eröffnen, auch Franz Liszt setzte das Stück auf seine Programme, Max Reger fertigte gar von ihm eine Orgelbearbeitung an. Seine Faszination hat dieses expressive und zu den persönlichsten Werken Bachs zählende Stück über alle Jahrhunderte behalten.

 

Kronenberg lieferte eine klarsichtige, bis ins Detail ausgelotete Deutung, die dem Drahtseilakt gerecht wurde, den motorischen Überhang der Fantasie mit der plastisch herausgearbeiteten Polyphonie der Fuge in Einklang zu bringen.

 

Ludwig van Beethovens C-Dur-Sonate, opus 53, markiert die Hinwendung zu einem großflächig angelegten und symphonisch geprägten Klaviersatz. Das hochvirtuose Werk, das Beethoven seinem Freund und Gönner Ferdinand Graf von Waldstein widmete, hat seit seiner Veröffentlichung nichts an Faszination eingebüßt. Es gilt bis heute als pianistische Herausforderung und musikalischer Prüfstein für jeden Interpreten. Sollte die Kanonisierung eines Werks mit Verkrustung innerhalb bewährter Deutungsschablonen einhergehen, so wäre Kronenbergs Interpretation als Befreiungsschlag zu bezeichnen. Ohne äußerlicher Virtuosität zu erliegen, gewährte er tiefe Einblicke in den vielschichtigen Kosmos der Beethovenschen Klangwelt. Seinem Spiel der langsamen „Introduzione“ gelang das seltene Kunststück, kontemplative Nabelschau und motivische Spannung gegenseitig zu verstärken.

 

Die zweite Programmhälfte stand ganz im Zeichen Frédéric Chopins. Kronenbergs Zugang zu Chopins zweiter Klaviersonate in b-Moll zeitigte eine derartige Sogwirkung, dass das vorgeschaltete Fantasie-Impromptu seiner polyrhythmischen Finesse und kontrastreichen Anlage zum Trotz eher als Steigbügelhalter in die hochdramatische Szenerie der Sonate anmutete denn als autonomes Werk. Bis auf das Finale leben alle Sätze aus opus 35 vom Antagonismus verschieden akzentuierter Dunkelheit mit versöhnlich-erlösenden Tönen. Solche Spannungen zur Gänze auszuspielen, dennoch formale Kohärenz zu bewahren, war der große Verdienst der ausdrucksstarken, intensiven Lesart Kronenbergs.

 

Vom Kirchheimer Publikum regelrecht gefeiert, ließ Yorck Kronenberg es sich nicht nehmen, den Zugabenteil wiederum Johann Sebastian Bach zu widmen. Das c-Moll-Präludium aus dem ersten Teil des Wohltemperierten Klaviers und die Aria der Goldberg-Variationen weckten Lust auf eine weitere künstlerische Begegnung mit diesem Ausnahmepianisten. Florian Stegmaier