Kirchheim

Zwei Schwaben streben nach Glück

Erzählung Drei gebürtige Kirchheimer unter sich: Der Autor Joachim Mohr lässt den Industrie-Giganten Jakob Friedrich Schöllkopf auf sein Leben zurückblicken – und auf das des Revolutionärs Friedrich Tritschler. Von Andreas Volz

Auf diesem Bild sieht Kirchheim richtig friedlich aus. Es stammt aus der Zeit um 1850

Spiegel-Autor Joachim Mohr, ein gebürtiger Kirchheimer, hat eine Doppelbiografie vorgelegt. Die Hauptfiguren sind zwei Kirchheimer aus dem 19. Jahrhundert, die sich gelegentlich begegnet sind und deren Biografien viele Parallelen aufweisen: Friedrich Tritschler und Jakob Friedrich Schöllkopf. Beide verfolgten den amerikanischen Traum vom „Streben nach Glück“. Aber nur einer von beiden hat sein Glück auch in materieller Hinsicht gefunden: der Gerbersohn Schöllkopf, der in den 1840ern in Buffalo am Eriesee ein Imperium als Großindustrieller aufbaute - zur selben Zeit, als Tritschler in Kirchheim für die Freiheit kämpfte. Der Seifensieder ist grandios gescheitert und wirtschaftlich nie wieder auf die Füße gekommen.

Spiegel-Autor Joachim Mohr, ein gebürtiger Kirchheimer, hat eine Doppelbiografie vorgelegt.

Joachim Mohr erzählt ihre Geschichte unter dem Titel „Der Revolutionär, der Kapitalist und das Streben nach Glück - eine Geschichte von Freiheit und Auswanderung“. Das heißt, eigentlich erzählt er gar nicht selbst. Er lässt vielmehr erzählen, indem er einen Kunstkniff anwendet: Er setzt den beinahe 80-jährigen Jakob Friedrich Schöllkopf in dessen Haus „in der noblen Delaware Avenue in Buffalo“ und lässt ihn Ende 1898 auf sein Leben zurückblicken - und auf das des Freiheitskämpfers Friedrich Tritschler.

Über Tritschler hatte Mohr erstmals vor vier Jahren geschrieben - in der „Spiegel Geschichte“-Ausgabe über „Die Revolution von 1848“. Auf ihn aufmerksam geworden war er über die Arbeiten, die sein einstiger Geschichtslehrer Dr. Eberhard Sieber in der Schriftenreihe des Stadtarchivs über Tritschler und die Revolution in Kirchheim vorgelegt hatte.

Weitere Quellen, die Joachim Mohr benutzt hat, sind die Schöllkopf-Biografie von Kreisarchivar Manfred Waßner und die Kirchheimer Stadtgeschichte von 2006. Dazu kommen zwei zeitgenössische Quellen, die er Schöllkopf direkt zitieren lässt: die Oberamtsbeschreibung Rudolph von Mosers aus dem Jahr 1842 sowie das „Amts- und Intelligenz-Blatt für die Oberamtsstadt und den Bezirk Kirchheim unter Teck“, das seit 1856 „Der Teckbote“ heißt.

Dass Joachim Mohr in seiner fiktiven Geschichte aus den Texten des 19. Jahrhunderts zitieren kann, hat er seinem Protagonisten Schöllkopf zu verdanken, der ja auch keine anderen Quellen hat - war er doch 1841/42 bereits in die USA ausgewandert. Die verheerenden Zustände mit Missernten und hohen Abgaben, die 1848 dazu führten, dass der revolutionäre Funke von Frankreich überspringen konnte, hat Schöllkopf nur aus der Ferne erlebt. Brieflich war er mit der Heimat stets verbunden. Er wusste mit Sicherheit, was in Kirchheim vor sich ging.

Ob er die Vorgänge und das Verhalten Tritschlers um 1848 auch so bewertete, wie es ihm Joachim Mohr in den Mund legt, ist eine andere Frage. Immerhin wäre es möglich gewesen. Und dass er Tritschler gegenüber wohlgesonnen war, beweist die Tatsache, dass er ihn in den USA finanziell unterstützte, obwohl er geschäftlich nichts davon hatte: Nach Tritsch­lers frühem Tod 1859 blieb Schöllkopf auf rund 12 000 Dollar sitzen, die er dem unglücklichen Revolutionär geliehen hatte.

Joachim Mohr - so erzählt er es im Gespräch - ist fasziniert von den Möglichkeiten, die die eineinhalb Jahre der Revolution in Kirchheim eröffnet hatten. Plötzlich war die Pressezensur aufgehoben, wenn auch nur vorübergehend. Tritschler wird im Lokalblatt durchaus anerkennend erwähnt, aber auch prophetisch für seine Utopien kritisiert: „Alles will er frei machen; sich selber aber wird er befreien von den schönen Wiesen und Äckern, die seine Ahnen gedüngt und gepflügt - wenn er so fortmacht.“

Er machte so fort, bis er mittellos nach Amerika kam. Dem Streben nach allgemeinem Glück hat er sein privates Glück geopfert. „Bei all seinem Engagement für Freiheit und Demokratie ist er persönlich gescheitert“, sagt Joachim Mohr über seinen Helden. Dass der mit einer kleinen Sensenkompanie gegen gedrillte Soldaten kämpfen wollte, ist von größter Symbolkraft. Joachim Mohr ringt sich einen Ausruf ab, der alles besagt: „Welche Verzweiflung!“

Auch im Tod keine Gleichheit

Ein weiteres Symbol: Während Schöllkopfs Grab in Buffalo bis heute in Ehren gehalten wird, während die Schöllkopf-Stiftung jedes Jahr 10 000 Dollar an die Stadt Kirchheim überweist und während US-Chemiker nach der „Schoellkopf Medal“ als einer der bedeutendsten Auszeichnungen streben, sagt Joachim Mohr über Friedrich Tritschler: „Man weiß nicht mal, wo sein Grab ist.“

Der Gerber und der Seifensieder in der Bastion

Die kaufmännische Berufsschule in Kirchheim ist völlig zurecht nach Jakob Friedrich Schöllkopf (1819 bis 1899) benannt. Er hatte ein Händchen fürs Geschäft, analysierte die Märkte, rationalisierte die Produktion und ersann Innovationen. Der sprichwörtliche „Seifensieder“ war dem gelernten Gerber schon frühzeitig aufgegangen.

Der „aufgehende Seifensieder“ ist erstmals im Geburtsjahr Friedrich Tritschlers (1810 bis 1859) belegt. Wenn jemandem ein Licht aufgeht, wird „Licht“ häufig durch „Kronleuchter“ ersetzt - oder durch „Seifensieder“. Letzterer stellte aus Talg außer Seife eben auch Kerzen her - wesentlich mehr sogar, als ein Kronleuchter aufzuweisen hat.

Die Schöllkopf-Stiftung aus den USA unterstützt indirekt Joachim Mohrs Buch: Die Kirchheimer Bürgerstiftung verteilt das Geld aus Buffalo und unterstützt dieses Jahr unter anderm Mohrs Prosa-Band über Schöllkopf und Tritschler. Am Freitag, 23. März, stellt Joachim Mohr sein Buch in der Bastion vor. Beginn ist um 20 Uhr.vol