Andreas Volz
Kirchheim. Bärbel Kehl-Maurer, die Erste Vorsitzende des Kirchheimer Vereins Lebenshilfe, erklärte zunächst, worum es beim Thema „Inklusion“ überhaupt geht: „Dazugehören, dabeisein, selbst entscheiden können – für Menschen mit Behinderung ist das nicht die Normalität.“ Schule und Beruf waren die Themenfelder, zu denen die Diskussionsteilnehmer Stellung bezogen. Die erste Frage lautete: „Was müsste die Stadt Kirchheim tun, damit in fünf Jahren Kinder mit Behinderung an allen Kirchheimer Schulen unterrichtet werden können?“
Dr. Christoph Miller (Freie Wähler) sieht in diesem Fall nicht in erster Linie die Kommunalpolitik gefragt: „Wir schaffen ja nicht die Rahmenbedingungen.“ Dafür sei das Schulgesetz zuständig. Allenfalls als Schulträger könne die Stadt Kirchheim für die baulichen Bedingungen sorgen. Das Hauptproblem sei in diesem Fall die Finanzierung: „Gemeinschaftsschule, Ganztagsbetreuung, Inklusion – das alles zusammen überfordert die Kommunen finanziell. Ich fürchte, dass die Inklusion deshalb verzögert wird.“
Karl-Heinz Schöllkopf (Grüne) sprach von einem „sehr ehrgeizigen Ziel“, in fünf Jahren bereits die Inklusion an allen Kirchheimer Schulen zu erreichen. Auf dem Weg dorthin empfiehlt er, jede einzelne Schule genau anzusehen und jeweils ein eigenes Konzept zu erstellen: „Vielleicht geht es ja an der einen Schule schon in drei Jahren, und an der anderen wird es sicher länger dauern als fünf Jahre.“
Eva Frohnmeyer-Carey (Frauenliste) würde erst einmal damit beginnen, „Inklusion zum Thema zu machen“. Mit dem Begriff werde sehr unterschiedlich umgegangen. Von gleichberechtigter Teilhabe seien Menschen nicht nur wegen einer Behinderung ausgeschlossen, sondern auch wegen ihres Alters, ihrer Sprache oder ihrer Herkunft. Inklusion bedeute mehr, als nur Aufzüge und barrierefreie Zugänge an Schulen zu schaffen. Inklusion beziehe sich mehr auf die Mitmenschen und deren Bewusstsein: „Die Umgebung muss sich ändern.“
Wilfried Veeser (CDU) regt ebenfalls Änderungen im Denken an. Für ihn selbst steht jetzt schon fest: „Die Teilhabe aller an allem gehört zu einer gesunden Gesellschaft grundsätzlich dazu.“ Die Lebenswelt Schule sieht er als große Chance, um zu vermitteln, dass jedes Kind gleichberechtigt ist.
Mireille Stabingis (CIK) sieht die Gemeinschaftsschule als einen „wichtigen und guten Anfang“. Allerdings sei man noch weit davon entfernt, dass Eltern frei entscheiden können, ob sie ihr Kind in der Schule nebenan anmelden oder ob sie es lieber einer speziellen Einrichtung anvertrauen. Eines aber machte sie deutlich: „Das Engagement darf nicht nur den Eltern überlassen werden.“
Marc Eisenmann (SPD) schlägt vor, das Thema schon viel früher anzugehen: „Wenn Inklusion in den Schulen selbstverständlich sein soll, müssen wir in den Kindergärten anfangen. Alle Kindergärten in Kirchheim müssten Carl-Weber-Kindergärten werden.“ Wenn schon nicht an jeder Schule, so müsse es wenigstens für jede Schulart in Kirchheim „eine Inklusionsschule“ geben. Zur Knappheit der Ressourcen gehören für ihn nicht so sehr die finanziellen Mittel, sondern das Personal, die Arbeitskräfte in der Sonderpädagogik.
Zum Themenkomplex „Arbeit“ stellte Martin Wirthensohn, Geschäftsführer und pädagogischer Leiter der Lebenshilfe Kirchheim, fest: „Für alle Menschen ist die Arbeit eine wichtige Komponente im Leben, auch für das soziale Miteinander.“ Inklusion sei für Betriebe eine Chance für einen Perspektivwechsel. Die konkrete Frage lautete: „Wie kann die Stadt Kirchheim dazu beitragen, dass für Menschen mit Behinderung mehr Arbeitsplätze geschaffen werden?“
Wilfried Veeser sieht in diesem Fall die Wirtschaftsförderung in der Pflicht, die derzeit neu aufgestellt werde: „Da soll es nicht nur um die Ansiedlung von Betrieben gehen und um die Steigerung der Steuereinnahmen, sondern auch um die Frage, wie man Fördergelder für entsprechende Projekte bekommt.“
Mireille Stabingis macht sich auch hier für freie Wahlmöglichkeiten stark: „Menschen mit Behinderung sollten selbst entscheiden können, ob sie in einer geschützten Einrichtung arbeiten wollen oder ob sie es auf dem ersten Arbeitsmarkt versuchen.“ Einige Firmen in Kirchheim und Umgebung seien in einer Vorreiterrolle. Diesen Firmen müsse ein Forum geboten werden.
Marc Eisenmann würde wieder einmal früher ansetzen: „Da müssen die Berufsschulen mit einbezogen werden und so etwas wie eine zertifizierte Teilausbildung anbieten. Menschen mit Behinderung sollten sich mit einem Papier bewerben können.“ Nach wie vor fragt er sich, warum viele Betriebe lieber die entsprechende Ausgleichsabgabe zahlen, statt Menschen mit Behinderung zu beschäftigen.
Genau auf diese Abgabe ging Eva Frohnmeyer-Carey ein, als sie betonte: „Die Stadt Kirchheim ist da vorbildlich. Sie hat 600 Arbeitsplätze und muss keine Ausgleichsabgabe zahlen.“ Trotzdem schlug sie vor, dass die Stadt noch eine eigene Stelle für Behindertenfragen schaffen könnte, um hier auch die Wirtschaft zu beraten.
Karl-Heinz Schöllkopf und Christoph Miller nahmen bereits die Frage nach den Netzwerken vorweg, indem sie darauf verwiesen, dass auch BDS und City Ring, IHK und Handwerkskammer sich des Themas annehmen sollten. Auch diese Organisationen wären ein wichtiger Bestandteil eines künftigen Netzwerks Inklusion.
Aus den Reihen des fachkundigen Publikums gab es zu allen Fragen wichtige Anregungen. Als großes Problem wurde beispielsweise gesehen, dass es nach der Grundschule in Kirchheim keine weiterführenden Partnerschulen für die Außenklassen gibt. Andererseits könne es auch nicht das Ziel sein, „Inklusion mit aller Gewalt durchzuziehen“. Wenn es in einer Klasse nur ein einziges Kind mit Behinderung gebe und wenn dieses Kind fast immer das schwächste und schlechteste in seiner Klasse sei, dann mache es Erfahrungen, die es im Leben nicht unbedingt weiterbringen. Auch die Förderschule wurde gewürdigt – aus demselben Grund: Sie könne individuelle, stärkende Hilfe für Kinder geben, die an der Regelschule durch die Maschen fallen.