Kirchheim

Ein Schreiben, das sich nicht einordnen lässt

Buttersäure Polizei ermittelt nach der Attacke in der Kirchheimer Alleenstraße in alle Richtungen. Der Verein Volkshaus ruft bereits zu einer Kundgebung auf. Von Andreas Volz

Das Bild zeigt zwei Feuerwehrleute in Schutzanzügen, wie sie sich am Dienstag darauf vorbereiteten, die Buttersäure aus den IBB-
Das Bild zeigt zwei Feuerwehrleute in Schutzanzügen, wie sie sich am Dienstag darauf vorbereiteten, die Buttersäure aus den IBB-Räumen in der Alleenstraße zu bergen.Foto: Carsten Riedl

Die Buttersäure, die am Dienstag in einem Büroraum in der Alleenstraße 92 gelandet war, ist das Kirchheimer Gesprächsthema schlechthin. Abschließende Ergebnisse der Polizei liegen noch nicht vor. Trotzdem ruft eine der Organisationen, die in dem Gebäude untergebracht ist, bereits für den morgigen Samstag zu einer Kundgebung auf: der Verein „Halkevi“ („Volkshaus“). Ab 12 Uhr heißt das Motto der Kundgebung vor dem Kirchheimer Rathaus: „Gegen Faschismus und rechte Gewalt in Kirchheim.“

Für das Volkshaus ist der Fall klar: In der Nacht auf den 21. März sei in den frühen Morgenstunden das Wohnhaus eines Halkevi-Mitglieds in Kirchheim mit Parolen aus dem rechten Lager besprüht worden, schreibt der türkische Kulturverein in einer Pressemitteilung zur geplanten Kundgebung. In der Vergangenheit sei der Mann bereits mehrfach von Mitgliedern der faschistischen Partei „Der Dritte Weg“ bedroht worden.

Wenn dann am selben Tag erst ein Stein und anschließend ein Glas mit Buttersäure in dem Gebäude landet, in dem unter anderem auch das Volkshaus seinen Sitz hat, zweifeln die Vereinsmitglieder nicht mehr daran, dass beide Ereignisse miteinander verknüpft sind. In der Pressemitteilung wird Aleyna Bayrak als Sprecherin des Volkshauses zitiert: „Die beiden Taten sind in direktem Zusammenhang zu sehen und stehen beispielhaft für den ideologischen Aufschwung rechter Kräfte und das Gewaltpotenzial gegen Migranten und Andersdenkende in Deutschland.“ Zur Kundgebung am Samstag ruft das Volkshaus genau vor diesem Hintergrund auf: „Wir werden uns von solchen Angriffen jedoch nicht einschüchtern lassen und sehen dies als Beweis für die Notwendigkeit antifaschistischer Arbeit und unseres Engagements gegen Rassismus.“

Noch passt nichts zusammen

Im Polizeipräsidium Reutlingen sieht man indessen keinen eindeutigen Zusammenhang zwischen der Buttersäure und einer Aktion, die sich zwangsläufig gegen das Volkshaus richtet. Der zuständige Polizeipressesprecher Josef Hönes sagte gestern auf Nachfrage des Teckboten: „Unser Staatsschutz ist eingeschaltet. Er ermittelt wegen Sachbeschädigung, die eventuell politisch motiviert ist.“

Das Schreiben, das an den Stein angeheftet war, ist der Knackpunkt. Wegen der laufenden Ermittlungen sagt Josef Hönes nur so viel: „Das Schreiben lässt sich überhaupt nicht zuordnen. Nichts passt zusammen. Auch politisch passt es nicht, wäre es gegen das türkische Volkshaus gerichtet gewesen.“ Es passe nicht einmal ein Hintergrund der rechten Szene.

Zum jetzigen Zeitpunkt ermittle die Polizei noch in alle Richtungen. Tatsache ist, dass Stein, Schreiben und Säure in den Büroräumen der Informations-, Beratungs- und Beschwerdestelle (IBB) des Landkreises Esslingen gelandet sind. Aber auch das lässt sich mit dem „Bekennerschreiben“ nicht wirklich in Einklang bringen, wie Josef Hönes erklärt: „Das passt auch nicht zu einem gezielten Angriff auf die Beratungsstelle.“

Gänzlich unklar sei, ob die Tat einer Organisation galt oder doch eher einer Einzelperson. Josef Hönes geht sogar einen Schritt weiter: Nicht auszuschließen sei, dass die Stinkbombe völlig falsch gelandet ist. Das heißt also, sie könnte nicht nur in den falschen Räumen (denen der IBB) aufgeschlagen sein, sondern möglicherweise sogar im falschen Gebäude.

Kirchheims Oberbürgermeisterin Angelika Matt-Heidecker rät dazu, das Ergebnis der Ermittlungen abzuwarten: „Bevor man nicht weiß, wer tatsächlich dahintersteckt, sollte man nicht zu einer Kundgebung aufrufen.“ Andererseits sei die Meinungsfreiheit ein hohes Gut. Deswegen lasse sich eine Kundgebung auch nicht einfach verbieten: „Das wäre nur dann möglich, wenn die öffentliche Sicherheit gefährdet ist.“

Sie plädiert dafür, den Ball flachzuhalten. Eine Kundgebung könne auch das Gegenteil dessen erreichen, was angedacht ist: „Das könnte der rechten Seite ein Podium geben - und das wäre auf jeden Fall zu verhindern.“

Der Polizeiliche Staatsschutz

Für den Staatsschutz sind in Deutschland das Bundesamt und die Landesbehörden für Verfassung zuständig. Auch Nachrichtendienste wie MAD und BND nehmen Aufgaben des Staatsschutzes wahr. Der Polizeiliche Staatsschutz ist bei der Kriminalpolizei angesiedelt und ermittelt in Fällen der politischen oder der politisch motivierten Kriminalität. Er ist aber auch präventiv tätig, um politisch motivierte Straftaten wie Terroranschläge möglichst schon im Vorfeld zu verhindern. In Kirchheim waren am Dienstag Angehörige des Staatsschutzes vor Ort, die der Kriminalpolizeidirektion in Esslingen zugeordnet sind.vol