Kirchheim

Wider den Kapitalismus

Revolution der Wirtschaftssystematik? – Christian Felber spricht in der Martinskirche über Gemeinwohl-Ökonomie

Christian Felber wirbt für ethische Bilanzen, um den Erfolg von Unternehmen zu messen.Foto: Nicole Mohn

Christian Felber wirbt für ethische Bilanzen, um den Erfolg von Unternehmen zu messen. Foto: Nicole Mohn

Kirchheim. Die Zahl lässt aufhorchen: Mehr als 70 Prozent der Deutschen bewerten das derzeitige Wirtschaftsmodel kritisch. Das sagt eine Studie der Stiftung Bertelsmann. Wirtschaften nur um des Profits Willen lehnt auch der Österreicher Christian Felber ab. In der Martinskirche sprach er am Montagabend über das alternative Modell der Gemeinwohl-Ökonomie.

Gewinn auf Kosten von Lebensqualität, Gerechtigkeit und auf Kosten der Steuerzahler? So stellt sich Felber Ökonomie nicht vor. Geldvermehrung, sagt der Autor am Montagabend in der gut besuchten Vortragsreihe „Werte, Ethik und erfolgreiches Wirtschaften“ in der Kirchheimer Martinskirche, sollte nicht das Ziel des Wirtschaftens sein. Vielmehr nur Mittel zum Zweck. Und der Zweck lautet: das Gemeinwohl.

Seit fünf Jahren nun treibt der Österreicher, studierter Philologe, zusammen mit Gleichgesinnten sein Gegenmodell zur bestehenden Marktwirtschaft voran. Messbar soll der Erfolg von Unternehmen künftig in seiner Vorstellung nicht mehr an den Bilanzen sein, sondern ebenso an seiner ethischen Bilanz. Dabei soll geprüft werden, inwieweit ein Unternehmen beispielsweise zur Gleichstellung von Mann und Frau beigetragen hat, ob die Umwelt geschädigt wurde, wie es um die Arbeitsplatzqualität bestellt ist oder gar demokratische Prinzipien verletzt wurden. Gemeinwohl-Bilanz nennt das der Mitbegründer der Gemeinwohl-Bank. Und die soll auch anhand der Produktkennzeichnung schließlich für den Verbraucher nachvollziehbar sein.

Wer sich wohl verhält der soll, gemäß Felbers alternativen Wirtschaftsmodells, belohnt werden, für Verstöße hingegen gibt es einen Bonus Malus – sei es in Form von Steuern oder Zöllen. Den Rechtsrahmen brauche es, um Wettbewerbsnachteile zu mindern. Ansonsten aber hält der Entwickler sein Modell für „sehr liberal“ und demokratisch.

Dass das auch auf Weltmarkt-Ebene funktioniert, da ist sich Felber sicher. Und wenn die USA nicht mitziehen? Kein Problem, sagt der Österreicher. Er ist überzeugt: Europa als starker Wirtschaftsraum kann sich da den Alleingang erlauben.

In seinen Ideen beruft sich Felber auf die Verfassungen wie zum Beispiel des Landes Bayern. „Die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit dient fdem Gemeinwohl, insbesondere der Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins für alle und der allmählichen Erhöhung der Lebenshaltung aller Volksschichten“, zitiert er am Montag daraus. Und sieht damit sich im Kreise von Volksökonomen wie Raiffeisen oder dem Begründer der Ökonomie Adam Smith. Den Ökonomen der Wirtschaftswissenschaften von heute bescheinigt Felber hingegen eine „Pauperisierung der Werte“, also eine Verarmung.

Ob ein abrupter Paradigmenwechsel denn möglich sei, wollen Zuhörer später wissen. „Es wird keine Revolution geben“, wiegelt Felber da ab. Vielmehr werde sich die Veränderung in vielen kleinen Schritten vollziehen, eine „schleichende Metamorphose“. In dem Einkäufer von Kommunen und Ländern vor der Vergabe erst mal nach dem ethischen Verhalten der Firmen schauen und erst danach die Preise vergleichen. In dem der Gedanke von Ressourcenschonung stärkeres Gewicht erhält, wie zum Beispiel aktuell mit der EU-Nachhaltigkeitsstrategie.

Felbers Idee trägt inzwischen Früchte. Nach eigenen Angaben legen inzwischen rund 350 Unternehmen neben Gewinn und Verlust auch eine Gemeinwohl-Bilanz vor. Namhafte Firmen wie der Outdoor-Spezialist Vaude oder Kirchner-Bau sind darunter, auch die Sparda-Bank München sowie drei Hochschulen. Die Stadt Stuttgart stelle 100 000 Euro für Gemeinwohl-Projekte zur Verfügung, zählt Felber weiter auf.

Die Eckpunkte für die Bewertung der Unternehmen sollen nach der Vorstellung des Österreichers von „unten nach oben“ entwickelt werden. Das langfristig aber ökologische Menschrechte entwickelt und materialer Besitz in die zweite Reihe rücken kann, hält Felber für realistisch, wenn auch erst am Ende des Umbruchs.

Wie aber die starke Macht der großen Weltkonzerne und ihre Lobbyarbeit durchbrochen werden kann, um den Paradigmenwechsel anzuschieben, dazu sagt Felber wenig an diesem Abend. Dass der Markt es am Ende alleine richten wird, scheint jedenfalls für manche Zuhörer an diesem Abend zu utopisch.