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Immerhin 18 Mann für 2 200 Kilometer lange Grenze

Auslandskorrespondent Andreas Zumach sprach über den anhaltenden Ukraine-Konflikt

Schon im Oktober 2014 war Andreas Zumach zum Thema Ukraine in Kirchheim. Nun brachte ihn ein breites Bündnis aus Kirchen, Politik und Gewerkschaften ins Gemeindehaus Sankt Ulrich zurück. Zumach, der für die taz und den Rundfunk aus Genf berichtet, bot rund 80 Zuhörern ein spannendes Update.

Kirchheim. Die Ukraine ist etwas aus den Schlagzeilen verschwunden. Abhörskandal und ertrinkende Flüchtlinge haben den Konflikt überlagert. Doch er hält an. Wie er weitergehen wird? Zumach hält den Ausgang für offen. Die Hauptverantwortlichen an dem Konflikt stehen für ihn fest: Es sind die Mitgliedsstaaten der Nato und der EU. „Es war eine fatale Entscheidung der Nato, sich nicht auf Gorbatschows ‚Gemeinsames Haus Europa‘ einzulassen.“

Stattdessen wurde das westliche Bündnis in Richtung Osten ausgedehnt. Hatte die Nato anderes versprochen? Ja, der amerikanische Außenminister James Baker in Moskau. Zwar gab es kein Abkommen, aber der damalige US-Botschafter in Moskau, Jack Matlock, hielt die Zusage als Protokollant fest. Zumach hat noch einen Zeugen. Kurz nach Hans-Dietrich Genschers und Helmut Kohls Moskaubesuch flog er – sein einziger Flug mit einer Regierungsmaschine – mit Genscher nach Ottawa. „Er kam aus seiner Schlafkoje und hat zwei Kollegen und mir ganz frisch aus Moskau erzählt.“

Das Versprechen wurde gebrochen, doch wie schnell? Noch im September 1994 habe US-Präsident Clinton begründet, warum er diesen Schritt für falsch halte. Doch dann machten Diasporagruppen aus Ungarn und anderen Ländern in den USA Druck. Der wegen der Lewinsky-Affäre bedrängte Präsident brauchte sie als Wähler. Außerdem wollte die amerikanische Rüstungsindustrie bei der Aufrüstung der neuen Nato-Länder kräftig verdienen. Ende 1996 waren die Amerikaner für die Erweiterung. „In allen Kooperationen Russland-Nato hat Russland, wenn es drauf ankam, immer nur die zweite Geige spielen dürfen.“

Die EU verlangte von der Ukraine eine Entscheidung. „Sie sagte das einem Land, das auf gute wirtschaftliche Beziehungen zur EU und zu Russland angewiesen ist.“ Für Zumach erklären „Ignoranz und Dummheit“ noch nicht alles. Im Jahr 2001 habe die EU mit der Lissabon-Strategie verkündet, sie wolle bis spätestens 2010 der global mächtigste Player werden, noch vor den USA. 2005 sei das um die „Nachbarschaftspolitik“ erweitert worden, Ziel war ein Gürtel freundschaftlich gesinnter Staaten.

Als die EU längst Konfliktpartei war, sei Außenminister Steinmeier in der Ukraine als Vermittler aufgetreten. Das Abkommen hielt keine 22 Stunden. Die Übergangsregierung kündigte als erstes das bis 2042 geltende Stationierungsabkommen mit Russland auf 2017 und wollte Russisch als zweite Amtssprache verbieten. Für Aufklärung der Scharfschützen auf dem Maidan und dem Flugzeugabschuss soll ausgerechnet ein Generalstaatsanwalt der Swoboda sorgen. „Und die EU als größter Geldgeber griff nicht ein.“

Wäre der Konflikt in Afrika, „dann hätten wir längst nach dem UNO-Vermittler gerufen“, so Zumach. „Aber wir Europäer denken, dass sich die UNO nicht in Konflikte auf unserem Kontinent kümmern muss.“ Bis die OSZE, die stattdessen eingeschaltet wurde, mit 234 Beobachtern vor Ort war, dauerte es acht Monate. Die Überwachung der 2 200 Kilometer langen Grenze zu Russland wurde aufgestockt, von 13 auf 18 Mann. „Die OSZE wird scheitern. UNO-Militärbeobachter oder eine Blauhelmtruppe wären richtig gewesen.“

Im geostrategischen Konflikt Nato-Russland, ausgetragen in der Ukraine, gehe es längst um die Angst vor Gesichtsverlust. Sie sei bei Putin mit 80 bis 85 Prozent Zustimmung in der Bevölkerung für seine Ukraine-Politik noch größer als im Westen. „Der Westen muss mit den ersten Deeskalationsschritten anfangen.“

Ein Zuhörer fragte, was Putin eigentlich wolle. Er wollte verhindern, den Hafen in Sewastopol zu verlieren und die Ukraine so destabilisieren, dass sie nicht für die EU und die Nato infrage komme, sagte Zumach. Beides habe er erreicht. „Dass er die baltischen Staaten oder Polen zurückholen will, sehe ich nicht. Aber er stärkt nationalistische Kräfte, die das wollen.“ Eines ist für Zumach klar: „Die Sanktionen sind falsch. Sie stimmen Putin nicht um.“

Was im Ukrainekonflikt zu tun ist – Vorschläge von Andreas Zumach

Die Nato müsse ihren Gipfelbeschluss aus dem 2008 korrigieren, dass eine Nato-Aufnahme der Ukraine und auch anderer östlicher Länder möglich sei. Dazu brauche es ein klares Signal – und nicht nur vertrauliche Hintergrundgespräche, in denen westliche Politiker zugeben, eine Aufnahme sowohl in die Nato als auch in die EU sei in den nächsten 20 Jahren nicht denkbar. Die jetzige ukrainische Regierung müsse die weitere Aufrüstung beenden, dafür brauche es Druck. Es brauche auch Druck, dass die Regierung die Reformen umsetze, Kompetenzen an die Provinzregierungen abgebe. Moskau müsse die Unversehrtheit der Ukraine anerkennen und jegliche Unterstützung der Aufständischen beenden. Die von Putin angedrohte Erhöhung der Gaspreise um bis zu 80 Prozent müsse vom Tisch. Beide Seiten müssten ihre vielen Manövertätigkeiten einstellen. Je mehr es sie gebe, desto wahrscheinlicher werde ein militärischer Zusammenstoß. Beide Seiten müssten ihre nach vorne stationierten Truppen zurückziehen und Stationierungspläne aufgeben. Eine Zollunion zwischen der EU und Ukraine und Ukraine und Russland müssten aufeinander abgestimmt werden. Die Sorge Russlands, über die Ukraine mit EU-Billigware überschwemmt zu werden, sei berechtigt. Die Krim brauche ein neues, von der UNO durchgeführtes Referendum ohne „grüne Männchen“ und mit der dritten Möglichkeit eines Verbleibs in der Ukraine mit weitgehender Autonomie.pd