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Rafik Schami – ein ergreifender Autor

Der Exilant aus Syrien stellt in der Stadthalle seinen Roman „Sophia“ vor

Rafik Schami begeisterte seine Zuhörer in der Stadthalle. Foto: Markus Brändli
Rafik Schami begeisterte seine Zuhörer in der Stadthalle. Foto: Markus Brändli

Kirchheim. Wenn das kein literarisches Großereignis ist: Die Buchhandlung Zimmermann hatte zu einer Lesung eingeladen. Zu Lesungen kommt in der Regel eine überschaubare Anzahl von Zuhörern älteren Semesters. Doch diesmal sah

es anders aus. Die Stadthalle war randvoll besetzt mit Publikum jeden Alters. Und schon vor der Lesung bildete sich eine lange Schlange von Lesern, die ihre Bücher vom Autor signieren ließen.

Es muss schon ein außergewöhnlicher Autor sein, der einen solchen Ansturm auslöst. Der Buchhandlung Zimmermann ist es gelungen, einen Star am deutschen Literaturhimmel zu engagieren: Rafik Schami. Wie Gastgeberin Sibylle Mockler ausführte, war es nur durch die guten Beziehungen zum Hanser-Verlag gelungen, den Vielgefragten, der meist in Großstädten auftritt, für die „Provinz“ zu engagieren. Sie erinnerte daran, dass Schami schon 2008 in Kirchheim war und dann von der Leserschaft immer wieder nachgefragt wurde.

Sie gab einen kurzen Einblick in die Biografie dieses Autors der besonderen Art. Rafik Schami – das ist ein Künstlername und bedeutet „Damaszener Freund“ – wird 1946 in Damaskus geboren. Er besucht als Muslim eine katholische Schule. 1971 flieht er, um der syrischen Zensur zu entgehen, über den Libanon nach Deutschland. Er studiert in Heidelberg und schließt mit einer Promotion in Chemie ab. Danach jobbt er in verschiedenen Berufen.

Doch seine Berufung ist die Schriftstellerei. Seit 1977 schreibt er in deutscher Sprache. Mittlerweile sind es 62 Bücher aller Gattungen, also auch Kinder- und Jugendbücher. Seine Werke werden in 28 Sprachen übersetzt und sind vielfach preisgekrönt. Genau einen Tag vor dem Kirchheimer Gastspiel bekam er einen Preis vom Pfälzischen Journalistenverband verliehen.

Nun war Schami dran, seinen soeben erschienenen Roman „Sophia“ vorzustellen. Dazu schlug er kein Buch auf, sondern trat auf der Bühne der Stadthalle vor sein Publikum mit seiner sympathischen Ausstrahlung und erzählte in bester orientalischer Erzähltradition. Diese originelle, durch den Einsatz von Mimik und Gestik lebendige Form einer „Lesung“ hat zu seiner Popularität beigetragen, und damit erntete er in Kirchheim nach anderthalb vergnüglichen Stunden prasselnden Beifall. Zuerst bot er allerdings an, den Roman in einem Satz zusammenzufassen: „Es ist ein Thriller, umrahmt von zwei leidenschaftlichen Liebesgeschichten.“ Dann geht er aber doch ins Detail. Die Liebesgeschichten sind voller Komplikationen: Der junge Moslem Karim besucht eine christliche Schule und verliebt sich in eine Mitschülerin, die Christin Sophia. Diese heiratet aber Knall auf Fall einen reichen Goldschmied, verspricht aber, ihm zu helfen, wenn immer er Hilfe nötig hat. Die kann er brauchen, als er einen von seiner Sippe geforderten Ehrenmord an seiner Schwester nicht ausführt. Er verspricht nun seinerseits, Sophia im Notfall zu helfen. Dieses Versprechen wird eingelöst, als Sophias Sohn Salman, der nach vierzigjährigem Exil nach Damaskus zu seinen Eltern gereist war, in die Fänge der syrischen Geheimpolizei gerät. Karim rettet ihn in einem spannenden Verwirrspiel zusammen mit seiner im Alter gefundenen Geliebten, der Christin Aida.

Der Roman bietet also alles, was eine fesselnde Lektüre ausmacht, eine spannende Thrillerhandlung, verwoben mit tragischen und erfüllten Liebesbeziehungen.

Indem Rafik Schami den Inhalt erzählt, kann er persönliche Anmerkungen, auf oft humorvolle Art, einflechten. Das eröffnet Perspektiven und hat einen hohen Unterhaltungswert. Er hat ein persönliches Verhältnis zu seinen von ihm erfundenen Romangestalten. Seine „Lieblingsgestalt“ ist Salmans Tante mit dem bezeichnenden Namen Amanda. Sie führt in einem orientalischen Land ein selbstbestimmtes Frauenleben, heilt aber Salman von revolutionären Utopien. Alle ehemaligen Revolutionäre, Salmans Mitstreiter, sind mittlerweile korrumpiert. Für Schami sind Frauen überhaupt weiter entwickelt als Männer. Deshalb trägt der Roman den Titel „Sophia“, obwohl er viel öfter von Salman handelt. Sophia bleibt im Hintergrund, zieht aber die Fäden.

In Schamirs Erzähl-Lesung und im gedruckten Text findet sich ein Füllhorn an Informationen über Land und Leute in Syrien. Das bunte Zusammenleben von Juden, Christen und Muslimen ist vorbei. Ein Rest davon findet sich in wenigen Hoffnungsträgern, beispielsweise dem Moslem Karim und der Christin Aida. Sie sind fähig, Gegensätze zu überwinden durch Liebe und Toleranz – eine humane Grundeinstellung. Zu diesen Hoffnungsträgern gehört auch Salman, bei dem es die Parallele zum Autor in Bezug auf das Exil gibt. Der Autor ist aber nie nach Damaskus zurückgekehrt. Unter dem grausamen Regime des Assad-Clans mutierte Syrien zu einer Diktatur mit den Geheimdiensten, der Sippenherrschaft und der Korruption.

Schamis Roman ist angesichts des Bürgerkrieges und der Fluchtwelle von prophetischer Kraft. Schließlich wurde er geschrieben, bevor die Zustände in Syrien Europa durch die Flüchtlingswelle bewusst geworden sind. Wer nach Gründen für den Massenexodus sucht, findet sie in Schamis Roman. Der Berichterstatter hatte Gelegenheit zu einem kurzen Gespräch mit dem „Propheten“. Auf die Frage, wie er die heutige Flüchtlingsproblematik vorausahnen konnte, antwortete er „Das habe ich gefühlt“ und griff sich dabei ans Herz. Eine Herzensangelegenheit ist ihm auch der Verein zur Förderung und Unterstützung von syrischen Kindern und Jugendlichen.