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Tanz, Orgel, tanz!

Die Orgelnacht in Sankt Ulrich verzauberte das Publikum mit bunten Klängen und einer überraschenden Premiere

Der Junge Chor Stuttgart begeistert mit vielfältiger A-cappella-Musik - und bringt die Königin der Instrumente kurz zum Schweige
Der Junge Chor Stuttgart begeistert mit vielfältiger A-cappella-Musik - und bringt die Königin der Instrumente kurz zum Schweigen. Foto: Jörg Bächle

Kirchheim. Das Konzept der Orgelnacht braucht kaum noch vorgestellt werden: Die Idee, in vier hochkarätigen Konzerten die „Königin der Instrumente“ mit anderen Instrumenten, Ensembles oder der

menschlichen Stimme in einen Dialog treten zu lassen, hat sich längst als Erfolgsmodell erwiesen. Das zeigt der große Publikumszuspruch, quer durch alle Altersschichten.

Den Auftakt des Abends bestritt der Hausherr gemeinsam mit Thomas Gindele aus Göppingen. Unter der Rubrik „Orgel plus Erzähler“ präsentierten sie „Drei Märchen“ für Erzähler und Orgel des Münchner Professors Enjott Schneider. Die Märchen aus Japan und Afrika sowie ein islamisches Märchen waren in unterschiedliche musikalische Gewänder gekleidet, die den beiden Künstlern viele Gelegenheiten boten, ihr Können zu zeigen.

Dekanatskirchenmusiker Thomas Specker nahm die Zuhörer durch vielfältig schillernde Registrierungen mit in ferne Kontinente, Thomas Gindele zog die Anwesenden durch seine nuancierte Vortragsweise in den Bann. Die Orgel konnte ihre schönen Klänge zur Geltung bringen: mal hell klingelnd, dann wieder dunkel tönend oder majestätisch kräftig.

Die Märchentexte enthielten allesamt eine sinnige Botschaft, die Gindele mit warmem Erzählgestus he­rausarbeitete. Der zweite Teil war mit Orgel und Trompete überschrieben. Saxofon, Orgel und Piano übernahmen einen Part, Orgelstücke „pur“ wurden von der Weilheimer Kantorin Petra Elze gespielt. Mit einem Stück des Brasilianers Heitor Villa Lobos eröffneten die Musiker Benjamin Engel am Saxofon und Nikolai Gersak an der Orgel ganz neue Klangwelten.

Petra Elze spielte zu Beginn das Stück „Chant du soir“ von Marco Enrico Bossi. Sie zeichnete die Abendstimmung nach und ließ die Abendglocken gegen Ende des Werkes plastisch hervortreten. Mit Eugene Gigouts „Toccata h-moll“ folgte ein Orgelwerk der Spätromantik. Anfangs noch etwas verhalten, steigerte sich die Kantorin bis zum triumphalen Schluss, der zum ersten Mal das volle Werk der Orgel ertönen ließ.

Eine Adaption einer Sonate von Bach für Saxofon und Orgel gefiel besonders durch die barocke Musizierfreude der beiden Künstler, die feine Abstimmung untereinander sowie die typische Terrassendynamik. Petra Elze überzeugte nochmals als Solistin mit dem heiter „angejazzten“ Orgelstück „Mozart Changes“, das 1995 als Auftragskomposition entstand und auf zwei Motiven aus Mozartwerken fußt. Mit Astor Piazzolas „Libertango“ wurde ein erster Höhepunkt des Abends erreicht. Was Benjamin Engel und Nikolai Gersak dabei an rhythmischem Drive und expressiven Linien entfalteten, war atemberaubend – die Orgel schien zeitweilig zu „tanzen“.

Danach hatte sich die „Königin der Instrumente“ zum ersten Mal in der Geschichte der Orgelnächte eine Pause verdient. Unter der Leitung von Paul Theis bot der Junge Chor Stuttgart einen interessanten Querschnitt durch die A-cappella-Literatur: Der Bogen spannte sich von der Renaissance, vertreten durch den Londoner Komponisten William Mundy, bis zur Neuzeit, repräsentiert durch die Beat­les oder Percy Grainger. Bei allen Werken fiel die hohe Textdeutlichkeit auf, die Intonationssicherheit, die absolute Präsenz sowie die Ausgewogenheit der Stimmen. So bewältigten sie auch rhythmisch anspruchsvolle Titel wie „Parkplatzregen“ des Maybebop-Mitbegründers Oliver Gies.

Bei Griegs Psalm „Im Himmelreich“ übernahm Theis das Baritonsolo mit schönem, prägnantem Timbre. In Peter Planyavskys „269. Psalm“ konnte der Chor nochmals seine Spannkraft demonstrieren, die zu einem beeindruckenden Fortissimo-Klang am Ende führte. Der enthusiastische Beifall wurde mit einem modernen Stück mit Anklängen aus Händels „Messias“ belohnt.

Dann gehörte die Kirche wieder ganz Benjamin Engel und Nikolai Gersak: Jazzstandards wurden „raumgreifend“ musiziert – so konnten die Klänge von Saxofon und Bassklarinette im Dialog mit Kirchenorgel, Piano und Schlagzeug ganz besondere Wirkungen hervorrufen. „Night and Day“ im Sambafeeling oder „Spain“ von Chick Corea mit dreimaligem improvisierten Toccaten-Intro unterstrichen die Virtuosität aller Beteiligten. Ein neues Element war das gemeinsame Musizieren von Liedern aus dem neuen „Gotteslob“ – das Publikum wurde dabei vom Stuttgarter Jungen Chor tatkräftig unterstützt. Schließlich entließen die Musiker die Besucher mit einer Zugabe von Charlie Mariano in musikalischer Hochstimmung in die Nacht. Ad multos annos!