Weilheim · Lenningen · Umland

Wenn das Handy zum Stressfaktor wird

Informatikprofessor Alexander Markowetz fordert eine „digitale Diät“

Wir werden täglich von unserem Smartphone begleitet – und abgelenkt. Alexander Markowetz erklärte in der Buchhandlung Zimmermann, warum unsere heutige Handy-Nutzung ein ungesundes Ausmaß erreicht hat.

Kirchheim. Wir sitzen bei der Arbeit, wollen uns konzentrieren – und das Smartphone vibriert. Natürlich checken wir den Grund sofort und lesen die neue Nachricht, prüfen gleich noch den Terminkalender, oder sehen kurz etwas auf Facebook nach. Alexander Markowetz, Juniorprofessor für Informatik an der Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, kennt dieses Verhalten selbst nur zu gut. Im Rahmen der groß angelegten „Menthal Balance“-Studie hat er gemeinsam mit seinem Team eine App entwickelt und das Smartphone-Nutzungsverhalten von 300 000 Menschen untersucht. Die Ergebnisse hat Markowetz in sein Buch „Digitaler Burnout“ einfließen lassen und in der Buchhandlung Zimmermann in Kirchheim vorgestellt.

„Die Teilnehmer telefonieren kaum, interagieren aber dennoch etwa zweieinhalb Stunden täglich mit ihrem Handy“, stellt Markowetz fest. Wenn man von einem durchschnittlichen Acht-Stunden-Tag ausgehe, nimmt die Handynutzung beinahe ein Drittel der Tageszeit in Anspruch. Die Telefonfunktion wird im Schnitt etwa sieben Minuten genutzt. Der Rest werde jedoch mit WhatsApp, Facebook, Spielen und sonstigen Programmen verbracht. „Natürlich sind das auch Dinge, mit denen wir unseren Handykonsum rechtfertigen. Die App der Deutschen Bahn etwa oder E-Mails und Online-Banking“, gibt Markowetz zu.

Was Markowetz Sorgen bereitet, ist jedoch weniger die Zeit, die für das Smartphone aufgewendet wird, sondern wie oft mit dem Gerät interagiert wird. Seine Untersuchungen zeigen: Im Laufe eines Tages wird das Telefon etwa 55 Mal entsperrt. Je jünger die Leute sind, umso häufiger geschieht dies. Etwa zwölf Prozent der Teilnehmer tun es mehr als 90-mal pro Tag. „Wenn jemand so oft sein Telefon entsperrt und herumklickt, sind das sicher keine 90 rationalen Entscheidungen. Das sind kleine, unbewusste Automatismen“, so Markowetz.

Der Informatik-Professor möchte nicht soweit gehen zu sagen, das Smartphones Menschen dümmer machen. „Aber eine übermäßige Handy-Nutzung reduziert sicher unsere intellektuelle Produktivität“, ist Markowetz überzeugt. Der Mensch sei nicht zum Multitasking geschaffen. Er lenkt abwechselnd sein Bewusstsein auf unterschiedliche Tätigkeiten, und wenn Langeweile entsteht, wechselt er seine Beschäftigung. „Das bereitet uns auf Dauer Stress. Wir verlieren an Produktivität und Glücksempfinden, weil wir nicht in den Work-Flow finden.“

Welchen Effekt das auf unsere Gesellschaft in den kommenden Jahren genau hat, ist wissenschaftlich noch nicht erforscht. Das liege auch daran, dass Smartphones als Phänomen erst seit wenigen Jahren flächendeckend Verbreitung fanden. Langzeitfolgen sind laut Markowetz jedoch nicht auszuschließen: „Wir begeben uns in orthopädisch absurde Haltungen, und zerstreuen uns maximal schnell, anstatt uns zu konzentrieren. Das ist so etwas wie kollektives Anti-Yoga.“ Ähnlich wie im richtigen Yoga könnten sich die Langzeit-Effekte erst im Laufe der Jahre einstellen.

Was fehlt, sind die uns früher im Alltag zwangsverordneten Mikropausen: „Das Warten auf den Bus oder die Verabredung wird häufig mit dem Blick aufs Smartphone überbrückt. Der Leerlauf wurde abgeschafft, obwohl er uns geholfen hat, kurz zu entspannen“, betont Markowetz. Um der Smartphone-Falle zu entkommen, muss das Verhalten erkannt und reduziert werden. „Das Problem liegt in uns und an unserer Umwelt. Was wir brauchen, ist eine digitale Diät“, erklärt Markowetz. Dazu müsse man seine Gewohnheiten ändern, sich selbst konditionieren und seine Umgebung so gestalten, dass sie einen vom Handy wegleitet.

Markowetz verteufelt Smartphones nicht, ist aber der Ansicht, dass sie überlegter eingesetzt werden sollten. „Exzessiver Smartphone-Konsum ist das neue Fett, das wir bekämpfen müssen.“ Das Problem könne niemand für sich alleine lösen. „Dazu braucht es eine Gesellschaft mit einer Kommunikationskultur, die den bewussten Umgang mit dieser Technologie lebt, sei es privat oder im Beruf.“