Lokale Kultur

„Das Zitat in Malerei, Zeichnung und Grafik“

Der 28. Kunstpreis der Kreissparkasse Esslingen-Nürtingen setzt auf Kreativität beim „Zitieren, Variieren, Modifizieren“

Vernissage in der Galerie der Kreissparkasse, Alleenstr. - 28. Kunstpreis der STiftung Kreissparkasse,
Vernissage in der Galerie der Kreissparkasse, Alleenstr. - 28. Kunstpreis der STiftung Kreissparkasse,

Kirchheim. Der Kunstpreis der Stiftung Kreissparkasse Esslingen-Nürtingen gehört zu den ältesten und traditionsreichsten Auszeichnungen ganz Deutschlands. In der 28. Neuauflage wagten die Verantwortlichen

im 36. Jahr den Sprung in die Moderne. Das Ergebnis überzeugte, denn selten zuvor war wohl das tatsächliche Interesse an den ausgestellten einzelnen Arbeiten so groß wie in diesem Jahr.

Leeren Stuhlreihen im Foyer standen daher zu Beginn die von vielen kunstsinnigen Besucher bevölkerten Galerieränge gegenüber. Vor der zu Vernissagen gehörenden Konzentration auf geistreiche Höhenflüge, gereichte Getränke und handliche Häppchen galt es schließlich, sich eine eigene Meinung zu bilden. Die Besucher konnten erstmals per Mehrheitsvotum ihren eigene Siegläufer küren.

Schon das in den Fokus gerückte Sujet begeisterte und hätte nicht passender gewählt sein können in Zeiten, in denen akademische Titelträger gleich in Serie des Plagiats bezichtigt und überführt wurden, weil sie geistreich gewählte Zitate so wenig kunstfertig variiert und so minimal modifiziert hatten, dass ihnen unverdiente Doktorehren dank moderner Kommunikationsmedien kurzerhand weggegoogelt wurden.

Die großartige Idee, dieses brisante Thema mutig auch in die Welt der Malerei, Zeichnung und Grafik hineinzuprojizieren und frei von Häme, aber dafür mit großer Kreativität, originell anzupacken und bewusst und nachhaltig zu ironisieren, sorgte für erstaunliche Ergebnisse.

Zunächst konzentrierte sich Gastgeber Franz Scholz aber auf das und Tradition und Modernität verbindende Prozedere der Juroren. Sie hatten aus digital über eine separate Plattform online eingeschickten 2 100 Werken von 870 Künstlerinnen und Künstlern 74 potenzielle Siegerbilder auszuwählen, die noch bis 18.  Juli in der Galerie der Kirchheimer Kreissparkasse ausgestellt sind. Die hohe Qualität der Arbeiten sorgte für den Beschluss, je zwei mit 2 500 Euro dotierte Förder- und zwei Hauptpreise mit jeweils 5 000 Euro auszuloben.

Welche geballte Kompetenz und Prominenz in der Jury versammelt war, listete der KSK-Vorstandsvorsitzende Scholz beim Blick auf seine Kollegen im Jurorenteam auf. Neben Professor Dr. Götz Adriani, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Kunsthalle Tübingen und einer der bedeutendsten Kuratoren Baden-Württembergs, waren das der Jury-Vorsitzende und Kurator Dr. Karl Otto Völter, der Kunstwissenschaftler Dr. Tobias Wall, der Vorstandsvorsitzende der Stiftung Kreissparkasse, Landrat Heinz Eininger sowie Dr. Cordula Güdemann, Professorin für Malerei an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart.

Laudator Dr. Tobias Wall erschreckte zunächst mit seiner in mutiger Rollenprosa vorgetragenen provozierenden These, dass es doch eigentlich viel zu viele Kunstpreise gäbe, die dadurch zu austauschbaren inflationär gehandelten Events zu verkommen drohten. Mit seinen fundierten Interpretationen des Reichtums der vier von der Jury ausgewählten Wettbewerbssiegern untermauerte er dann aber lückenlos seine wahre Überzeugung, dass es gar nicht genug Kunstpreise geben könne.

Dennis Otto erhielt den ersten Förderpreis für ein Bild der altklugen Lisa aus der Zeichentrickserie „Die Simpsons“, die an der zur bekanntesten Ikone der Neuzeit gewordenen Kerze des Malerpapstes Gerhard Richter einen Joint anzündet. Dabei trage sie ein „affektiertes Oberlippenbärtchen“, das den Kunstwissenschaftler sofort an den „aufgeblasenen-genialischen Salvador Dali“ erinnert hatte, der mit einem solchen Bärtchen auch schon das Gesicht der Mona Lisa „verziert“ habe und in einem „Stelldichein der Giganten der Hoch- und der Unterhaltungskultur“ auf höchst humorvolle Weise „mit dem Pathos weihevoller abendländischer Hochkultur“ spiele. (Bild 2).

Der zweite Förderpreisträger David Borgmann überraschte mit (Bild 10) „Classics (Flowers)“ gleich doppelt. Im Duktus niederländischer Blumenstillleben treibe er „illusionistische Spielchen“, wenn er Details noch feiner und klarer als die Natur darstelle und dann auf einer gemalten Langspielplatte präsentiere. Hoch- und Massenkultur, Altehrwürdiges und Veraltetes, Realitäten und Fiktionen aus unterschiedlichen kulturellen Regionen würden hier miteinander kontrastiert, um auf virtuose Weise mit Seh-Erfahrungen und -Erwartungen zu experimentieren.

Der Träger des Hauptpreises, ­Xianwei Zhu weile derzeit in Peking, habe sich zuvor aber mit „Kreidefelsen an C. D. Friedrich“ (Nummer 71) „eines der bekanntesten Gemälde eines der deutschesten Künstler“ angenommen. Das Werk des großen Romantikers sei ja geprägt von uneingeschränkter Hingabe an die Schönheit der Natur und dem gleichzeitigen Gefühl von Verlorenheit und Einsamkeit. In Zhus moderner Malerei zerfließe dagegen die Natur in kühlen Blau- und Brauntönen. Dennoch habe er es verstanden, eine zeitgemäße Analogie zur romantischen Stimmung von Caspar David Friedrichs Kunst“ zu schaffen und einen Ort zu zeigen, der faszinierend und Heillos sei.

Nach Ausführungen über die Lust am Shoppen und die dem Konsumrausch folgende Katerstimmung der „Shopping-Melancholie“ (Bild 33) lobte der rhetorisch gut aufgestellte Kunstwissenschaftler Susanne von Bülows „anrührendes Sinnbild für die Tragik des Konsumzeitalters“. Diese Arbeit mache die Leere deutlich, die reiner Konsumismus hinterlasse. Die müde und zerbrechlich wirkende Frau lässt ihn dabei an spätgotische Darstellungen des Schmerzenmannes denken, wobei die dargestellte Power-Shopperin nicht an Marterketten, sondern an Einkaufstaschen gefesselt sei, nicht leide wie der König der Welten, sondern wie König Kunde und Assoziationen an Dürers Melancholia oder Rodins Denker wecke.

Dass dieses starke Stück von einem Bild über Eitelkeit und Sinn und Unsinn blindwütigen und Konsums in einem „Geldpalast“ gezeigt werde, fand Dr. Wall bemerknswert

Mit der exponierten Hängung an zentraler Stelle ist „Shopping-Melancholie“ für ihn ein ganz besonders he­rausragendes von 74 „wunderbaren Ergebnissen“, die dieser 28. Kunstpreis erst möglich gemacht habe. Die Sinnhaftigkeit solch ausgelobter Preises könne daher gar nicht infrage gestellt werden, solange alles so gut gemacht und klarer Ausdruck eines Verantwortungsbewusstseins für Kunst und Kultur sei.

Das Votum für den mit 1 000 Euro dotierten Publikumspreis hatte mit 194 Stimmen eine erfreulich solide Basis, denn vor Beginn des offiziellen Teils blieb sehr wenig Zeit für die Stimmangabe. Platz drei belegte Till Julian Huss mit „1511 IV“ (Bild 74). Platz zwei im Publikumsvoting teilten sich Laeticia Bellmers „Stadtlandschaft 6“ (Bild 12), „Überfall in Scheveningen“ von Sibylle Bross (Bild 50) und Xianwei Zhus „Kreidefelsen an C. D. Friedrich“ (Bild 71). Siegerin nach Punkten wurde in einem unglaublich eng zusammengedrängten Feld Edite Grinberga, die mit ihrem sorgfältig in wunderbares Licht getauchten und viele begeisterte Blicke auf sich ziehende stillen „Eck mit Blättern“ (Bild 8) tatsächlich die meisten Besucher von sich überzeugen konnte.