Lokale Kultur

Die Aufführung steckte voller Überraschungen

„Konzert zur Todesstunde Jesu“ am Karfreitag in der Kirchheimer Martinskirche

Kirchheim. Muss es bei einem Konzert an Karfreitag um den Kreuzestod gehen? Nein, muss es nicht! So entschied sich zumindest Ralf Sach mit seinem Chor an der Martinskirche. Auf dem Programm stand diesmal von Claudio Monteverdi „Selva morale et spirituale“. Dieser Originaltitel weckte natürlich die Neugier des religiösen Bildungsbürgertums, das wohl kaum gekommen wäre zu „Sittlicher und geistlicher Wald“, so die wörtliche Übersetzung der Titels. „Weltliche und geistliche Musik von Monteverdi“ wäre zwar verständlicher, aber kaum attraktiver gewesen.

Voller Überraschungen steckte dann die Aufführung: Kürzlich beim Konzert des Schlossgymnasiums war der Chor noch notdürftig auf Holzkisten postiert, jetzt standen die Sänger auf dem schon verloren geglaubten und nun wiederauferstandenen Chorpodium. In drei Madrigalen zu Beginn wurde davor gewarnt, nicht auf Reichtum, Ansehen, oder Lebenslust zu setzen. Wie? Hatte der sterbende Jesus wirklich danach getrachtet? Es folgten Teile aus dem Messordinarium – ausgerechnet am Karfreitag, dem einzigen Tag des Jahres ohne Messe. Ein jubelndes „Gloria Patri,“ nach jedem Psalm. Selbst in der Evangelischen Kirche fällt das in der Karwoche weg. Zwar ist Monteverdis letzte Kompositionssammlung ein musikalisches Vermächtnis, aber keine auskomponierte Liturgie, sondern ein Vorrat von Musik für verschiedenste Anlässe.

Immerhin stand das im Programmheft. Doch vieles wurde auch vorenthalten. So erfuhr man nichts über die Solisten „Anna Maria Wilke (Sopran), Simone Alex (Alt) und Matthias Baur (Bariton). Die Sopranistin, die eigentliche Sensation des Konzertes, macht gerade erst Abitur. Engelsgleich sang sie sich mit schlafwandlerischer Sicherheit durch die verwegensten Koloraturen. Die Altistin, dazu verdammt, eine Männerrolle (Altus) zu singen, musste zunächst einmal stimmlich untergehen, bevor sie beim Schlussstück endlich zeigen konnte, wie gut sie gestalten kann. Es war der einzige Moment, bei dem eine Art Karfreitags-Atmosphäre aufkam. Nicht umsonst gilt die Sängerin auch als Spezialistin für alte Musik.

Der Dirigent des schwäbischen Kammerorchesters, Matthias Baur, war als fulminanter Sänger zu bewundern; aber auch seine Vita fehlte im Programm – wie die Namen der vier Posaunisten aus der Stadtkapelle. Es waren Andreas Haussmann (Bassposaune), Rainer Mühlherr und Hubert Rauschnabel (Tenorposaune) sowie Michael Unger (Altposaune). Sie verliehen der Musik feierlichen Glanz und Würde, wie es sich an diesem Tag gehört. Ein Sonderlob gilt übrigens dem blitzsauber intonierenden Altposaunisten. Dass die klangstarken modernen Blechblasinstrumente den Chor nie erdrückten, gehört zu den beglückenden Erfahrungen der Aufführung. Dagegen konnte es nicht ausbleiben, dass der Lautenist, Wolfgang Daiß, völlig übertönt wurde. Er hätte auf ein Podest gehört, sodass die Zuhörer ihn wenigstens hätten sehen können. Die Truhenorgel wäre auf dem Fußboden besser aufgehoben gewesen. Sie diente ja fast nur zur Tonangabe – warum musste das nur ein einziger dröger Akkord sein?

An den wenigen Stellen, an denen Dirigent Ralf Sach den Generalbass tatsächlich spielte, tat er es nur mit der linken Hand in viel zu tiefer Lage. Erst in der „Pianto Della Madonna“ konnte man sich am wahrhaften Monteverdi-Klang des Instrumentes erfreuen.

Unverständlich war, warum der „Generalsbass-Musik“, einer der Errungenschaften Monteverdis, die Akkordstütze des Tasteninstruments versagt wurde. Dadurch klaffte, besonders bei den Solopartien, ein klägliches Loch zwischen Diskant & Bass (Manfred Scholz, Cello, und Joachim Stumber, Kontrabass). Auch dem Chor hätten die stabilisierenden Akkorde gut getan. Dass die teuflisch schweren Partien trotzdem gemeistert wurden, verdient höchste Anerkennung. Es war aber nicht zu übersehen, dass Ralf Sach beim Dirigieren alle Hände voll zu tun hatte, den Chor zu animieren und zusammen zu halten. Die Sänger dankten es ihm mit begeisterter Musizierfreude: anmutig schimmernd im Sopran, erfreulich voluminös im Alt, trotz zum Teil extrem tiefer Stimmlage, feurig engagiert im Tenor und zuverlässig grundierend die Bässe. Dagegen hatten es die Streicher des Schwäbischen Kammerorchesters schwerer. Sie mussten sich weithin auf eigene Faust durch die vertrackten frühbarocken Rhythmen kämpfen – ein fast aussichtsloses Unterfangen bei schlecht lesbarem Notenmaterial. Jedes einzelne Orchestermitglied hat dafür neben den Blumen noch eine Tapferkeitsmedaille verdient.

Bei aller Anerkennung für Ralf Sachs experimentierfreudigen Wagemut, bleibt die Frage, ob Ausführende und Publikum nicht zu sehr an die Grenzen ihrer Belastbarkeit geführt worden sind. Doch die Programmvorschau gibt Entwarnung: Für den Herbst ist das Deutsche Requiem von Brahms angekündigt.