Lokalsport

„Es geht ums nackte Überleben“

Nach der Niederlage gegen Leipzig redet in Kirchheim niemand mehr vom Einzug in die Play-offs

Im vergangenen Jahr hätte man solche Spiele wohl gewonnen. Momentan reichen auch 30 Offensiv-Rebounds wie am Samstag gegen Leipzig den Knights nicht zum Sieg. Nach der siebten Saisonniederlage nimmt der Trainer erstmals seine schützende Hand von einem seiner Lieblingsschüler: Für den formschwachen Cedric Brooks wird die Luft in Kirchheim dünn.

Kirchheim Knights - Uni Riesen LeipzigCedric Brooks
Kirchheim Knights - Uni Riesen LeipzigCedric Brooks

Kirchheim. Marcus Smallwood und Dominik Schneider mit zweistelliger Score- und Reboundstatistik, Chris Alexander mit 23 Punkten, die Mannschaft mit einem Reboundverhältnis von 57:37, davon 30 zweite Bälle unterm gegnerischen Korb – so sehen eigentlich Erfolgsbilanzen aus. Doch gewonnen hat am Samstag der Gegner. „Es passieren momentan zu viele Dinge, die schwer zu erklären sind“, sagt Trainer Frenkie Ignjatovic.

Dabei nimmt er auch sich selbst nicht aus. Warum mit Cooper Land einer der bis dahin sichersten Distanzschützen fast die gesamte zweite Halbzeit auf der Bank schmorte, warum sich die Mannschaft samt Trainer mit einer Reihe technischer und unsportlicher Fouls zum wiederholten Mal in entscheidenden Spielphasen selbst aus dem Tritt brachte, und warum man gegen die Alleinunterhalter Nikita Khartchenkov und Chris Gadley sich anfängerhafte Fehler leistete, obwohl der Trainer hinterher gestehen musste: „Leipzig hat genau das gespielt, was wir erwartet hatten.“ Alles Fragen, in deren Antworten der Schlüssel zum fehlenden Erfolg läge.

Doch die Antworten hat derzeit keiner. Ob er sich selbst Fehler vorzuwerfen habe? „Wenn du so knapp verlierst, hast du tausend Fehler gemacht“, meint Frenkie Ignjatovic, der am gestrigen Montag noch immer schwer an der wohl bittersten Niederlage bisher zu knabbern hatte. Seitdem er Trainer sei, habe er mit 30 Offensiv-Rebounds noch nie ein Spiel verloren, sagt er. „Doch wenn Leistungsträger ihre Leistung nicht bringen, kannst du nicht gewinnen.“ Kritik wegen seiner Unbeherrschtheit nach einem Foul gegen Tim Burnette, die den Knights eines von zwei zeitgleichen technischen Fouls und damit die frühe Wende im Spiel einbrachte, wehrt der Trainer vehement ab. Die Szene habe sich direkt vor seinen Augen abgespielt. „Ich habe es mir hinterher gleich mehrmals angeschaut“, sagt Frenkie Ignjatovic, „ich würde mich in solchen Fällen immer wieder vor meine Spieler stellen.“

In einem Fall tut er das seit Samstag nicht mehr. Im Falle Cedric Brooks scheint die Geduld des Trainers inzwischen ein Ende zu haben. „Unsere momentane Krise hat einen Namen“, sagt der Coach in ungewohnt scharfem Ton. Schwächephasen hat sich Publikumsliebling „Ced“ während seiner vier Jahre in Kirchheim immer wieder geleistet, um danach mit einer Leistungsexplosion zurückzukehren. Doch diesmal scheint der 32-Jährige den Glauben an sich selbst verloren zu haben. Zaghaft, regelrecht verschüchtert wirkte er am Samstag. Fast so, als würde er um seine Auswechslung betteln. Doch der Trainer ließ ihn mehr als 25 Minuten auf dem Feld, auch deshalb, weil Tim Burnette mit seinen Kräften im zweiten Durchgang am Ende war. Was vor wenigen Wochen noch völlig undenkbar gewesen wäre, ist plötzlich ein realistisches Szenario: Findet die Mannschaft bis Weihnachten nicht in die Spur, wird es Opfer geben, und eines dürfte nach derzeitigem Stand wohl Cedric Brooks heißen.

Doch so weit ist es noch nicht. Endlich der Wahrheit ins Gesicht blicken, ist eine der Forderungen, die der Trainer stellt. „Nach dem Sieg in Crailsheim haben viele schon wieder über die Play-offs geredet. Wir müssen begreifen, dass es in diesem Jahr ums nackte Überleben geht.“

Ignjatovic wäre nicht Ignjatovic, würde er seine Jungs am Ende nicht doch in Schutz nehmen. Er habe gegen Leipzig eine völlig verunsicherte Mannschaft gesehen, sagt er, aber auch einen starken Willen. Spieler wie Dominik Schneider, Jonathan Maier oder Cooper Land lassen eine Entwicklung erkennen, die Mut macht. Bei Neuzugang Tim Burnette stimmte trotz glückloser Offensive zumindest die Körpersprache, und mit etwas Glück steht am Sonntag in Ehingen mit Michael Henderson ein defensivstarker neuer Mann auf dem Feld. Für ihn fehlt nach wie vor die Freigabe durch den Verband. Weil Henderson zuletzt für einen Klub in Mexiko am Ball war, der nicht dem Weltverband Fiba untersteht, wartet man in Kirchheim seit mehr als einer Woche auf Post aus Puerto Rico. Die Frist ist inzwischen verstrichen, im Knights-Büro rechnet man stündlich damit, dass die Ampel auf Grün springt. „Ich bin zuversichtlich, dass er in Ehingen spielberechtigt sein wird“, sagt Knights-Sprecherin Bettina Schmauder.

Bei einer weiteren Niederlage am Sonntag gegen ein Team aus der unteren Tabellenhälfte könnte mit etwas Pech nach Weihnachten sogar die Rote Laterne in Kirchheim hängen. Mit Düsseldorf, Heidelberg, Göttingen und Karlsruhe warten vier der momentan besten fünf Teams auf die Knights. Die Mannschaft hat es in den kommenden Wochen selbst in der Hand, ob sie mit einem Novum ins neue Jahr startet, das vor allem die US-Amerikaner schwer treffen würde. „Gut möglich, dass wir diesmal keine Weihnachtspause machen“, meint Frenkie Ignjatovic. Heimaturlaub gegen Leistung – fair enough.