Kirchheim. Es quietscht und knarzt und holpert. Auffallend häufig ist bei Kirchheims Basketballern inzwischen die Rede von der neuen Saison. Vom Neubeginn. Das alles hier hinter sich lassen, irgendwie hier rauskommen, mit heiler Haut aus diesem verhexten Spieljahr. Wäre der vergangene Sonntag der Maßstab, wüsste man zumindest, in welcher Liga der Reset-Knopf im Frühjahr gedrückt wird.
In der Form wie gegen Chemnitz bräuchte sich beim Pro-A-Ligisten vermutlich niemand die Überlebensfrage stellen. Doch auch die glanzvoll inszenierte Wiederauferstehung am Wochenende hatte wenig Einfluss auf die harten Fakten: Kirchheim ist nach Punkten nach wie vor ein Abstiegskandidat. Nur der direkte Vergleich mit Crailsheim verhindert, dass dies auch im Tabellenplatz zum Ausdruck kommt. Nach dem Spiel am späten Samstagabend in Paderborn wird man wissen, ob Chemnitz nur ein Strohfeuer war oder ob man den Kessel nun dauerhaft auf Temperatur halten kann.
Die Mannschaft jedenfalls ist am Sonntag wieder als solche aufgetreten. Ohne nennenswerte Schwachstellen, mit einem spiel- und lauffreudigen Backcourt, wie man ihn in dieser Saison noch kaum erlebt hat. Da interessierte es auch wenig, dass man mit den Chemnitzern an diesem Tag auf eine völlig indisponierte Mannschaft traf. 17 Ballverluste und eine Dreierquote von unter 17 Prozent sind eine Bilanz, mit der man keine Spiele gewinnt. „Entweder, sie haben uns unterschätzt, oder sie waren mit dem Kopf bereits beim Derby gegen Jena“, mutmaßte Frenkie Ignjatovic am Tag nach dem Spiel.
Beim Kirchheimer Coach entspannten sich erstmals seit Langem die Gesichtszüge. Emotional am Spielfeldrand ist der Trainer zwar fast immer. Dennoch war ihm anzusehen, welche Last in den Schlussminuten von seinen Schultern fiel. Viele hatten erwartet, dass Neuzugang Justin Stommes diesmal den feinen Unterschied ausmachen würde. Er tat es nicht, und Ignjatovic war einer derjenigen, die sogar froh darüber waren. „Es war wichtig, dass die bisherige Mannschaft diesem enormen Druck standgehalten hat“, meint der Coach. „Justin hat sehr zurückhaltend gespielt, trotzdem hat man gesehen, dass er zwei Verteidiger auf sich ziehen und damit Platz schaffen kann für seine Nebenleute.“
Die Partie in Paderborn ist gleich aus mehreren Gründen kein Spiel wie jedes andere. Nachdem auf die Konkurrenz im Tabellenkeller am Wochenende das schwerere Programm wartet, bietet sich den Kirchheimern die große Chance, mehr Abstand zu den beiden Abstiegsplätzen zu gewinnen. Von Stommes wird man erwarten, dass er das tut, wofür man ihn als Scharfschützen vom Dienst verpflichtet hat und für Tim Burnette könnte die Reise nach Westfalen zur Abschiedstour werden. Auch wenn die Klubführung inzwischen zurückrudert, nachdem am Wochenende durchgesickert war, dass der befristete Vertrag bereits aufgelöst worden sei. Man habe fristgerecht zum 15. Januar gekündigt, weil sich der Vertrag sonst automatisch verlängert hätte, sagt Knights-Sportchef Karl Lenger. „Das heißt aber nicht, dass wir uns bereits entschieden hätten.“
Fakt ist: Burnette ist sozusagen die Gegenfinanzierung bei der Verpflichtung von Justin Stommes. Ohne eine Erhöhung des Spieleretats stand fest, dass man für den Neuen einen der vier etatmäßigen Guards würde opfern müssen. Da Burnette, der erst Ende November zur Mannschaft stieß, der einzige mit Probevertrag ist, war klar, wen es treffen würde. Das Kuriose: Burnette, der für Tübingen vor sieben Jahren noch in der BBL am Ball war und danach in Kirchheim mit 21,1 Punkten im Schnitt zum Topscorer wurde, hat sich nach anfänglichem Zögern offenbar bereit erklärt, im Falle einer Trennung das Team des VfL Kirchheim im Abstiegskampf der Oberliga zu unterstützen. Ein starkes Stück, egal, wie man es dreht. „Das spricht für seinen Charakter“, meint Karl Lenger. Burnette, der im März 31 Jahre alt wird, in Stuttgart Familie hat und den VfL schon jetzt in der Nachwuchsarbeit unterstützt, macht sich offenbar berechtigte Hoffnungen auf ein Knights-Comeback in der neuen Saison.
Die Diskussion über die Zukunft des Amerikaners legt gleichzeitig den Schluss nahe, dass sich die Knights von einer anderen Variante inzwischen verabschiedet haben. „Wir werden in der Kürze der Zeit nicht die finanziellen Voraussetzungen schaffen können für eine weitere Verpflichtung auf der Spielmacherposition“, bekennt Lenger. Für Ignjatovic hieße das: Die „große Eins“ wird zumindest in dieser Saison ein Wunschtraum bleiben und er müsste den Abstiegskampf ab Februar mit nur noch neun Spielern bestreiten.