Lokalsport

Schlafmütze oder Feierbiest

Aus Rio für Kirchheim: Es gibt viele Arten, einen Weltmeister-Titel zu feiern

Das Spiel nervenzerfetzend, die Nacht viel zu kurz und trotzdem mit einem Lächeln aufgestanden: Am Tag nach dem großen Triumph lautete die meist gestellte Frage: Wo warst du als Deutschland zum vierten Mal Weltmeister wurde? Play Video

Nicht nur in Großstädten wie Berlin oder Hamburg gingen die Menschen nach dem vierten WM-Titel für Deutschland auf die Straße. A
Nicht nur in Großstädten wie Berlin oder Hamburg gingen die Menschen nach dem vierten WM-Titel für Deutschland auf die Straße. Auch im schwäbischen Kirchheim unter Teck wussten die Fußballfans, wie sie ihre Nationalmannschaft feiern können. Nach dem Sieg gab es einen spontanen Autokorso, ein Partymobil animierte die Menschenmassen zu einem spontanen Zug durch die Kirchheimer Innenstadt.

Kirchheim. Es gibt eingefleischte Fußballfans und solche, die es werden, wenn sie die passende Steilvorlage bekommen. Der späte Triumph der deutschen Mannschaft hat in der Nacht zum Montag jedenfalls kaum einen kalt gelassen. Ob beim Bad in der Menge oder daheim vor dem Fernseher, wir haben uns umgehört, wer wo gezittert hat – und wer den historischen Moment um ein Haar verschlafen hätte.

Für das Wunder von Bern ist er zwar deutlich zu jung, durchs Wohnzimmer von VfL-Trainer Mario Kienle, der mit Frau und Sohnemann das Spiel daheim verfolgte, wehte am Sonntag trotzdem ein Hauch von Nostalgie: Der Papa im Trikot des Weltmeisters von 54, der zehnjährige Filius im aktuellen Dress der Löw-Elf. Gewonnen haben sie am Ende gemeinsam. „Für mich war klar, dass es schwer wird“, meint der Fußball-Experte. „Das Brasilien-Spiel konnte kein Maßstab sein.“ Schwächster Mann auf dem Platz war für ihn ein Italiener: „Der Schiedsrichter hatte das Spiel nie im Griff“, sagt Kienle, der nach Kramers Knockout Rot für angemessen gehalten hätte. Jetzt freut er sich, auf das was kommt: „Wir werden in den nächsten Jahren viele neue Gesichter in der Mannschaft sehen.“ Einer davon, glaubt er, wird der Stuttgarter Timo Werner sein. Klar, den hat er schließlich selbst trainiert.

Rot hat Michael Mai am Finalabend tatsächlich gesehen. Und das gleich vielfach. Umringt von Fans der „Furia Roja“ hat der Trainer der Kirchheim Knights das Spiel auf der Plaza im Madrider Stadtteil Las Rojas miterlebt. Der US-Amerikaner leitet dort gerade ein Basketballcamp. „Die Spanier waren nicht wirklich in Partylaune“, meint Mai, der als Teenager Verteidiger im Soccer-Team seiner Schule war. Mit einem „schnellen Bier“ hat er nach dem Abpfiff trotzdem auf Deutschland angestoßen, auch wenn er die Klinsmann-Truppe gerne im Finale gesehen hätte. „Die deutsche Mannschaft hat sich unglaublich entwickelt“, sagt er. „Die waren jetzt einfach dran.“

Dass Micky Corucle kein Freund des runden Leders ist, weiß man. Was macht Kirchheims Erfolgstrainer in Sachen Leichtathletik, wenn im Fernsehen das WM-Finale läuft? Er legt sich schlafen. Im Traum muss ihm dann doch einer gesteckt haben, dass heute Geschichte geschrieben wird. „Zwei Minuten vor dem Tor war ich wach“, erzählt der gebürtige Rumäne, der seine Rolle als Fußballkritiker nicht unkommentiert lassen will: „Ich hätte nichts gegen Fußball,“ sagt der Mann, der Tobias Unger zum Weltklasse-Athleten formte. „Würde er anderen Sportarten nicht zunehmend die Grundlage entziehen.“ Am Ende sogar ein überraschendes Geständnis: „Ich bin ein Fan von Mario Götze, von seiner Schnelligkeit und Technik“, bekennt Corucle und kann dem Titel durchaus Positives abgewinnen: „Jetzt ist wieder 24 Jahre Ruhe.“

Daran glaubt Alexander Hübbe allerdings nicht. Der Trainer des Landesligisten TSV Weilheim verspricht sich von der Nachwuchsarbeit im deutschen Fußball noch einiges: „Früher haben wir neidisch nach Brasilien geschaut. Heute ist unser System so ausgereift, dass kaum mehr ein Talent durchs Raster fällt.“ Der Titel für Deutschland für ihn deshalb folgerichtig: „Wir haben zwar keinen Messi, aber wir hatten die beste Mannschaft des Turniers“, meint der Weilheimer, der erst am Samstag aus dem Urlaub in Griechenland zurückgekehrt ist und sich das Spiel zuhause mit seiner Frau angeschaut hat. Vorteil Hübbe: Er hat diese Woche noch frei und konnte heute morgen deshalb genüsslich ausschlafen. Bei aller Euphorie über Jogis ausgeschlafene Jungs: „Wenn Higuaín das Tor gemacht hätte, weiß ich nicht, ob unsere Mannschaft zurückgekommen wäre.“

Ausgeschlafen wirkt Manuel Fumic dieser Tage eher nicht. Deutschlands erfolgreichster Mountainbiker, der am Sonntag seinen deutschen Meistertitel zurück erobern will, ist vor drei Wochen zum zweiten Mal Papa geworden. Das macht das Leben reicher und die Nächte kürzer. In Fußballsprache heißt das: Heim-WM statt Public Viewing. „Ich war heilfroh, dass Götze das Tor gemacht hat“, sagt er. „Schließlich musste ich früh um sechs raus zum Training.“ Der Titel ist für ihn Ansporn, schließlich wartet auch auf die Mountainbiker in sieben Wochen in Norwegen eine WM. „Die Jungs haben gezeigt wie‘s geht“, meint Manuel Fumic. „Jetzt muss ich im September eben nachlegen.“

Finale verloren hieß es am Sonntag für Vasile Oprea. Allerdings nicht in Rio, sondern in Filderstadt. Auch nicht im Fußball, sondern im Handball. Der 54-fache rumänische Nationalspieler und seine Mannschaft, der TSV Owen, hatten es nach dem verpassten Turniersieg auf den Fildern eilig. Ganz Sportsmann wie er ist, hat Oprea mit der deutschen Elf daheim in Eislingen vor dem Fernseher mitgefiebert. Wer Brasilien in den psychischen Kollaps stürzt, so sein Urteil, der kann auch das Finale nicht verlieren. 2:0 war sein Tipp. „Dass es harte Arbeit werden würde, war mit aber schon klar.“

Das Feierbiest steckt übrigens nicht nur in Thomas Müller, sondern auch in einer, von der man das gar nicht erwartet hätte: Wie schon als Mehrkämpferin im Turnen absolvierte Dorothee Henzler in der Nacht auf Montag das volle Programm: Public Viewing im „Dreikönig“, Party auf dem Alleenring und danach ab ins „Ochsengässle“ bis morgens um fünf. Kraftausdauertraining einmal anders. Die Bundesliga-Turnerin des VfL Kirchheim musste gestern erst um 12 Uhr an der Alleenschule ihren Dienst antreten. Dort leitet sie als Ehrenamtliche eine Sport-AG. „Power-Napping“ am Nachmittag? „Ich hab‘ mir genügend Kaffee mitgenommen“, verrät sie lachend. „Einmal kann man das schon machen“, meint die Vorzeige-Athletin, die mentale Stärke bewies und am Erfolg der deutschen Mannschaft auch in brenzligen Situationen nie gezweifelt hat. Im Gegenteil:„Ich hatte volles Vertrauen in die Jungs.“